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Hinter der Nacht (German Edition)

Hinter der Nacht (German Edition)

Titel: Hinter der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Walter
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ich gefesselt und geknebelt. Mein Hals und meine
Lungen brennen und fühlen sich roh und wund an. Aber auch die Stellen, an denen
man mich gebunden hat, schmerzen. Die Wächter wollen offenbar ganz sicher
gehen, dass ich mich nicht im Geringsten bewegen kann. Ich versuche trotzdem,
mir einen Überblick über meine Lage zu verschaffen. Sie sieht nicht gerade
rosig aus, soviel ist klar.
    Wir scheinen uns
immer noch auf dem Felsvorsprung zu befinden, auf dem der kurze, erfolglose
Kampf stattgefunden hat. Dicht neben mir bemerke ich jetzt auch das längliche
Paket. Clarissa. Sie gibt immer noch keinerlei Lebenszeichen von sich. Ich will
den Gedanken nicht zu Ende denken. Wenn sie tot ist, bin ich meinen Verfolgern
völlig grundlos in die Falle gelaufen.
    Obwohl meine
Bewegung minimal gewesen ist, bleibt sie nicht unbemerkt. „Er wacht auf.“ Die
Stimme – zu meiner Überraschung weiblich – kommt mir vage bekannt vor. Ich
versuche, die Sprecherin genauer zu betrachten, aber mehr als ihr
verschwommenes Profil gegen den Nachthimmel kann ich nicht erkennen.
    „Gut. Dann
können wir es ja beenden.“ Die zweite Stimme gehört eindeutig einem Mann. Das
muss der Größere der beiden sein, der, den ich zunächst umgehauen hatte. Dann
ist es wohl die Frau gewesen, die mich anschließend überrumpelt hat. Auch wenn
es albern ist – dass ich mich von einer Frau habe übertölpeln lassen, wurmt
mich doppelt. Dabei brauche ich mir über solche Eitelkeiten wohl die geringsten
Sorgen zu machen.
    „Nimm ihm den
Knebel raus.“
    Scheinbar ist
der Mann derjenige, der das Sagen hat, denn die kleinere der beiden Gestalten
steht sofort auf und nähert sich mir. Damit ist zumindest schon mal klar, wer
von den beiden der Mensch ist. Angestrengt versuche ich, ihr Gesicht zu erkennen,
während sie sich an mir zu schaffen macht, aber durch den Sauerstoffmangel
flimmert es immer noch vor meinen Augen. Gierig schnappe ich nach Luft, als sie
das störende Objekt aus meinem Mund entfernt hat.
    „Du weißt, warum
wir hier sind.“
    Das ist eine
Feststellung, keine Frage, und ich würdige ihn keiner Antwort.
    „Du verstößt
gegen das höchste Gebot. Alles an dir widerspricht Gottes Schöpfung. Du hast
kein Recht, zu existieren.“ Sein Ton ist blanker, eiskalter Hass, der mir
ebenfalls verrät, wer von den beiden wer ist. Erist eindeutig keinMensch.
Nur einer von ihnen kann jemanden wie mich so abgrundtief verabscheuen.
Kein Mensch mit seinen oberflächlichen Gefühlen und seiner Ignoranz wäre dazu
fähig, noch nicht einmal ein Wächter.
    „Willst du noch
etwas sagen?“ Das ist die Frauenstimme. Die, die mir so bekannt vorkommt. Sie
bestätigt meine Schlussfolgerung, denn aus ihr spricht viel weniger Abscheu.
Fast Mitleid. Als ob ich jemand bin, der ihr nahe steht. Sie muss ein
Mensch sein. Einer, den ich oft getroffen habe. Ich mustere ihr Gesicht im
schwachen Nachtlicht. Das Flimmern vor meinen Augen hat inzwischen
nachgelassen. In dem Moment, als sie sich mir voll zuwendet, weiß ich, wer sie
ist.
    „Erkennst du
mich?“, fragt sie kalt. Das Mitleid, das ich mir eingebildet habe, ist
verschwunden. Auch wenn sie früher nur ein Mensch war, jetzt ist sie viel mehr.
Das darf ich nicht vergessen. „Du siehst, wir sind dir schon länger auf der
Spur. Ich habe mir dein verlogenes Spiel genau angeschaut. Die anderen kannst du
vielleicht betrügen. Sie kannst du vielleicht betrügen.“ Sie weist mit einer
leichten Kopfbewegung auf Clarissa, die immer noch bewegungslos neben mir
liegt. „Aber uns nicht. Wir wissen, was du bist. Und wir werden dem ein Ende
machen!“
    Das, was sie
sagt, trifft mich bis in mein Innerstes. Weil es wahr ist. Alles, was sie
gesagt hat, stimmte. Ich habealle betrogen. Und vor allen Dingen
Clarissa. Die nur wegen meiner Lügen jetzt hier neben mir liegt. Wenn sie tot
ist, habe ich ihr Leben auf dem Gewissen.
    „Betrügen!“ Ich
lache bitter. Als wenn das meine Sünden auch nur annähernd beschreibt. Was ich
getan habe – was ich bin - ist so viel schlimmer als ein Betrug. Wie
Clarissa gesagt hat – ich bin böse. Das Böse schlechthin. Ich habe kein
Recht zu existieren. Und es ist richtig, dass dieser Fehler nun endlich
ausgelöscht wird. Auch wenn der dumme menschliche Teil von mir sich immer noch
an dieses verhasste Leben klammert. Ich verwünsche diese Regung mehr als alles
andere. Hätte ich nicht versucht, mich an ein Leben zu klammern, auf das ich
keinerlei Recht habe, sondern mich sofort, als ich die

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