Hinter der Tür
Lampe auf dem Korridortisch. Sie erkannte Mrs. Bellingers sorgfältige Handschrift. Gail – bin bei meiner Schwester. Vor elf Uhr zurück, hoffe ich. In Liebe, Emma.
Die Aussicht auf zwei Stunden abendlicher Einsamkeit löste eine schnelle Reaktion aus. Sie öffnete die Tür und hörte Steves Reifen knirschen, als er auf der Einfahrt wendete. Er bremste sofort.
»Sie können reinkommen«, sagte sie. »Aber nur um nach Einbrechern zu suchen.«
Irgendwie brauchte er recht lange, um wieder auf dieses Thema zu kommen. Trotz des warmen Wetters bestand Steve darauf, im Kamin ein Feuer zu machen – wofür er atavistische und nicht romantische Gründe geltend machte. Um die Zimmertemperatur in vernünftigen Grenzen zu halten, mußten sie die Klimaanlage auf volle Leistung stellen. Er schaltete auch das Licht aus und fand einen Diskjockey im Radio, der Pianisten mit einem leichten, flirrenden Touch bevorzugte. Gail beschuldigte ihn, eine recht plump-romantische Stimmung zu schaffen, was er offen zugab. Als sie sich weigerte, vor dem Kamin Platz zu nehmen und Küßchen-Küßchen mit ihm zu spielen, schlug er die Couch vor. Sie konterte mit dem Vorschlag, sie könne ihm ja ihre Zeichnungen zeigen. Ohne große Begeisterung stimmte er zu.
»Ich begann zu zeichnen, als ich acht war«, sagte sie und breitete die kremfarbenen Blätter auf dem Couchtisch aus. »War angeblich eine gute Therapie. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich überhaupt Talent habe.«
»Also, von Kunst habe ich keine große Ahnung«, sagte er und legte ihr einen Arm um die Hüfte. »Aber ich weiß, was mir gefällt.«
Das war der Augenblick, als sie den Rundgang durch das Haus vorschlug.
Die Veränderung, die mit Steve Tyner vor sich ging, als er seine Inspektion begann, war für Gail fast besorgniserregend. Er hatte plötzlich nichts Scherzhaftes mehr und erkundete die Türen, Fenster und Schlösser des Hauses mit einer Gründlichkeit, die die Arbeit der Polizei womöglich noch übertraf. Er stellte Gail viele Fragen, die auch Lieutenant Baldridge schon gestellt hatte, und schien einige der Antworten zu kennen, ehe sie ausgesprochen waren. Er notierte sich Typ und Hersteller aller Schlösser. Er erstellte eine Prüfliste der Eingänge und zwang sie, sich zu erinnern, welche Eingänge zu welchen Tag- und Nachtzeiten verschlossen waren. Er erkundete den Keller – mit ihr – und den Boden – allein. Dann bat er, ihr Schlafzimmer sehen zu dürfen. Sie blickte ihn an.
»Immer noch der erste Grund.« Er lächelte.
Als sie die Treppe hinaufgingen, fragte er beiläufig, ob alle Geräusche, die sie gehört hatte, vom Boden ausgegangen wären.
»Nein«, erwiderte sie.
»Was haben Sie sonst noch gehört?«
»Eben – Geräusche. Sie wissen selbst, wie schwierig es ist festzustellen, aus welcher Richtung ein Laut kommt. Manchmal dachte ich, sie kämen aus dem Flur oder von der Treppe oder aus einem Wandschrank. Einmal glaubte ich zu hören, daß meine Tür aufging, aber das war natürlich nicht möglich.«
»Warum nicht?«
»Weil ich die Schlafzimmertür immer abschließe.«
»Mit einem Schlüssel?«
Sie zeigte ihm den Mechanismus. »Das Ding riegelt von innen zu. Mit einem Schlüssel kann man von außen heran, aber nur Mrs. Bellinger hat einen.«
»Vielleicht haben Sie Mrs. Bellinger gehört.«
»Nein, die Ärmste. Sie hat großen Ärger mit ihren Füßen, auch wenn sie sich Mühe gibt, wie das blühende Leben auszusehen. Das letztemal, als die arme Frau in das Obergeschoß humpelte, war – na, vor etwa drei Wochen, als ich einen schlimmen Traum hatte.«
»War das so ungewöhnlich?«
»In diesem Fall schon. Wir haben eine Sprechanlage zwischen Schlafzimmer und Küche, und die Lautsprecher waren versehentlich eingeschaltet. Sie hörte, wie ich hier loslegte, und kam nach oben.«
»Würden Sie mir sagen, was Sie träumten?« »Will die Fiduciary Bank etwa meine Träume analysieren?«
»Nein.« Steve lächelte. »Das überlassen wir Ihrem Dr. Vanner.«
»Wie ich sehe, haben Sie keine Zeit verschwendet. Sind Sie in sein Büro eingebrochen, um meine Akte zu stehlen, wie es Daniel Ellsberg passiert ist?«
Die Frage war nicht scherzhaft gemeint. Steve suchte nach einer Ablenkung und entdeckte den Puh-Bär. Er saß aufrecht in einem Stuhl, und das braune Fell war von den Umarmungen aus zwanzig Jahren fast völlig abgeschabt.
»Das ist also mein Rivale, soso.«
»Auf den lasse ich nichts kommen. Er hat bei mir geschlafen, seit ich ein Baby
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