Hinter der Tür
Worte fielen heftiger aus als Steve beabsichtigt hatte. Er sah, wie Vanner innerlich explodierte, und er hatte durchaus die Munition dazu.
»Sie sind ja selbst ein hübscher Fall von gespaltener Persönlichkeit«, sagte er, und ein Muskel zuckte an seiner Wange. »Sie wissen ja gar nicht genau, wo Sie in dieser Sache stehen, da Sie für die Bank arbeiten.«
»Ich weiß genau, wo ich stehen werde«, sagte Steve. »Und das wollte ich Ihnen noch sagen. Ich werde zur Rechten Gails stehen und das Zauberwort sprechen.«
»Was für ein Zauberwort?«
»›Ja.‹«
Er freute sich, als Vanner die Augen aufriß.
»Meinen Sie eine Heirat?«
»Gail ist nur deswegen wehrlos, weil sie keinen Verwandten hat, der sich zwischen sie und die Bank stellt. Damit will ich keineswegs behaupten, die Fiduciary habe es darauf abgesehen, sie unrechtmäßig zu entmündigen; so läuft der Hase nicht. Die Bank hatte guten Grund, sich um Gails geistige Ausgeglichenheit Sorgen zu machen, und die Sorge der Bank ist durchaus legitim. Das weiß ich definitiv.«
»Ja, ich bin sicher, die Leute von der Bank sind alle schrecklich nett«, sagte Vanner trocken. »Weshalb Sie ja auch Gail Gunnerson heiraten und sie vor der Fürsorge der Bank schützen wollen.«
»Die Tatsache, daß ich dann jeden Entmündigungsprozeß abwürgen kann, ist nur eine Nebenwirkung. Ich habe nicht die Absicht, meine Flitterwochen in einer Gummizelle zu verbringen. Obwohl das mal ganz interessant sein könnte, wenn man‘s genau bedenkt.«
Ernst: »Haben Sie ihr bereits einen Antrag gemacht?«
»Ja.«
»Hat sie ihn angenommen?«
»Noch nicht. Sie denkt genauso wie Sie. Daß ich sie aus altruistischen Gründen heirate. In Wirklichkeit heirate ich sie wegen ihres Geldes.«
»Im Scherz wird manche Wahrheit ausgesprochen.« Joel Vanner lächelte. Dann ging er nach oben. Steve folgte ihm in den Flur, doch er sah nicht mehr, wie das Lächeln verschwand und die Lippen sich eisenhart zusammenpreßten.
»Los, weinen Sie ruhig, wenn Sie möchten«, sagte er zu ihr. »Sie haben bei mir doch schon öfter geweint.«
»Mir ist nicht nach Weinen zumute. Ich kann jetzt nicht. Weinen ist etwas, mit dem man Mitleid erwecken will, sogar bei Ihnen.«
»Was für eine kluge Bemerkung«, sagte Vanner, und strich ihr eine Haarlocke aus dem Gesicht, wie er es bei einem Kind getan hätte. »Aber ein bißchen zu altklug. Wenn Sie meine Meinung hören wollen.«
»Aber es stimmt«, sagte Gail. »So ist es mein ganzes Leben lang gewesen, das habe ich festgestellt. Wenn wirklich etwas schiefliegt, wenn ich wirklich Angst habe, bringt Weinen keine Erleichterung. Meine Tränendrüsen scheinen nicht zu funktionieren.«
»Ich müßte mir wirklich Notizen machen.« Er lachte leise. »Ich lerne heute abend soviel Neues über meinen Beruf.«
»Ist Steve noch da? Er hat gesagt, er wollte nach unten gehen, um unser Abendessen zu holen.«
»Ja, er ist noch da, und das Abendessen kommt gleich. Aber ich wollte Sie zuerst noch sprechen. Haben Sie großen Hunger, oder können Sie noch etwas Zeit für mich erübrigen?«
»Ich habe keinen großen Appetit. Ich bin überhaupt nicht hungrig. Angst ist ein gutes Mittel für die Taille, nicht wahr?«
»Und wovor haben Sie Angst?«
»Vor mir selbst natürlich«, sagte Gail. »Vor dem, was mein Ich mir antun wird. Ich habe hier gelegen und mich gefragt, ob meine Hände noch auf die Befehle des Gehirns reagieren werden. Ob meine Beine nicht etwa beschließen, gegen die Arme zu rebellieren. Was geschähe dann, Doktor? Ich meine, wenn unsere verschiedenen Teile gegeneinander in den Krieg zögen?«
»Alle Menschen bestehen aus drei Teilen«, sagte Van- ner leichthin. »Wie Gallien.«
»Ich weiß«, sagte sie und drehte das Gesicht auf die kühlere Seite ihres Kissens. »Es, Ich und Über-Ich. Die drei Marx-Brothers. Kein Wunder, daß wir so komische Wesen sind.«
»Wer ist denn das Es?«
»Natürlich Harpo. Der Bursche, der überhaupt nichts sagt und hinter den Mädchen her ist.« Als er lachte, wandte sie sich ihm zu, und in ihren Augen stand ein seltsames inneres Leuchten. »Ich mache es auch durch«, sagte sie. »Ich tue genau das, was sie getan hat – nach den Briefen meines Vaters.«
»Sie meinen Ihre Mutter?«
»Es stand im letzten Brief. Aber Sie wissen ja noch gar nichts von den Briefen, oder?«
»Steve Tyner hat davon gesprochen. Ich habe nicht begriffen, warum sie so schrecklich wichtig sein sollen.«
»Sie müssen sie schon lesen«, sagte Gail.
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