Hinter der Tür
hatte, wie hingerissen die Mädchen waren, wenn sie erfuhren, daß man ein Jünger Freuds und Adlers war; womöglich wurden sie angeregt durch die Vorstellung, daß man heimliche Dinge über ihre Sexualität wußte.
Ludovic hatte ihm das Haus Berggasse 19 gezeigt, wo Freud gelebt und gearbeitet hatte, Ludovic gab ihm auch die Fachbücher und vermittelte ihm das Vokabular, das er brauchte; und als sein Schüler gut gelernt hatte, war es Ludovic gewesen, der ihm das Diplom überreicht hatte, das in fein gestochener Schrift den Namen Sigschund Freud aufwies. Piers war weniger belustigt als fasziniert gewesen, weil das Dokument bis auf den Namen so offensichtlich authentisch war. Ein Freund von Ludovic arbeitete für einen Druckkonzern, der sich auf solche großartigen Dokumente spezialisiert hatte und mit typischer Wiener Schlamperei die nicht ganz gelungenen Abzüge fortwarf. Das Exemplar, das sich Piers für seine späteren Pläne beschaffte, war für den Geschmack des perfektionistischen Druckers etwas zu blaß ausgefallen; ansonsten war es fehlerlos. Piers hatte keine Mühe, an der richtigen Stelle den Namen einzufügen (Joel, weil ihm dieser Name gefiel; Vanner, weil er die Bezeichnung einmal an einem Bäckereiwagen gesehen hatte). Er war mit dem Schreibstift schon immer sehr geschickt gewesen; wenn sich ihm keine anderen Möglichkeiten geboten hätten, wäre er vielleicht Meisterfälscher geworden. Er lächelte bei dem Gedanken an die Briefe, die er gerade verfaßt hatte, und an den Spaß, den sie ihm bereitet hatten – weniger die Kalligraphie als der Textentwurf. Er hatte mehr getan, als Theodore Gunnersons Handschrift zu imitieren; er hatte den Schreibstil des Mannes übernommen, wie er in den ursprünglichen Briefen zum Ausdruck gekommen war. Die echten Briefe hatte er vernichtet und nur die Umschläge aufbewahrt, in denen sie in der Fulham Road 21 eingetroffen waren. Mit bewunderndem Blick auf seine graubehandschuhten Hände am Steuerrad überlegte er, daß es ein Mann mit so vielen Talenten wahrlich verdient hatte, reich zu sein.
»Dr. Vanner!«
Er hatte sich im Geiste wieder so sehr als Piers Swann gesehen, daß er fast nicht auf seinen neuen Namen reagiert hätte. Er blieb im Erdgeschoß des Gunnerson- Hauses stehen, eine graubehandschuhte Hand auf dem Treppenpfosten, und wandte sich zu Steve Tyner um. Steve trug ein Tablett mit zwei dampfenden Tellern.
»Ich wußte gar nicht, daß Sie hier sind, Mr. Tyner.«
»Bin ich«, sagte Steve. »Ich wollte Gail gerade das Abendessen bringen.«
»Lassen Sie‘s mich mit hochnehmen. Dann kann ich mit ihr sprechen, während sie ißt.«
»Ich habe einen besseren Einfall«, sagte Steve. »Warum unterhalten wir uns beide nicht mal einen Augenblick. Mrs. Bellinger …« Er wandte sich an die Haushälterin, die ihm gefolgt war. »Könnten Sie das noch ein paar Minuten warm halten, während ich mit dem Doktor spreche?«
»Ja, natürlich«, sagte Mrs. Bellinger. Sie nahm ihm das Tablett ab und trug es zur Küche, wobei der Dampf in einer dicken Wolke hinter ihr herzog. Steve deutete mit einem Kopfnicken auf das Wohnzimmer, und Van- ner folgte ihm achselzuckend, wobei er gleichzeitig seine Handschuhe auszog. »Sie hatten mich doch so gedrängt, Miss Gunnerson aufzusuchen«, sagte er trocken. »Aber wo ich jetzt da bin, wollen Sie lieber mit mir plaudern.«
»Ich wollte Sie vorbereiten«, sagte Steve und ließ sich in einen Lehnstuhl fallen. »Seit unserem Gespräch heute nachmittag hat sich oben einiges getan.«
»Ist es besser geworden oder schlimmer?«
»Ein bißchen von beidem. Gail ist noch immer überzeugt, daß sie beste Aussichten auf eine Zwangsjacke hat. Ich hätte ihr das vielleicht noch ausreden können, aber dann kamen die Briefe.«
»Briefe?«
»Korrespondenz zwischen ihrem Vater und seinem Bruder über die Gesundheit von Gails Mutter. Die Briefe wurden von einer Anwaltskanzlei in London übersandt und hätten zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt eintreffen können.«
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte Vanner, nahm Platz und schlug sich mit den Handschuhen ungeduldig auf den Schenkel.
»Die Briefe vermitteln ihr offenbar einen neuen Eindruck von den geistigen Problemen ihrer Mutter. Gail hat immer geglaubt – hat glauben wollen -, daß die Mutter einzig und allein wegen des Todes ihres Vaters durchgedreht ist. Ich glaube, diese Überzeugung war für sie entscheidend, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Wie ich sehe, wildern Sie schon wieder
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