Hinter Geschlossenen Lidern
mehrmals umkehren, bis ich schließlich den Schotterweg fand, den Dag mir beschrieben hatte. Ich bog ab und fuhr ins Nichts. Da wo ich hinwollte, gab es nur Felsen, Meer und Himmel.
Beinahe fünf Kilometer lang narrte mich der Weg, dann öffnete sich hinter einer Anhöhe eine verschwiegene Bucht. Ein massives Blockhaus schmiegte sich in eine Senke. Daneben am Strand stand ein anthrazitgrauer Ferrari.
Als ich ausstieg, empfing mich das Kichern der Möwen, die im Blaugrau über Meer und Felsen fangen spielten. Die Luft war erfüllt von Licht. Klar und rein und stark ließ es mich blinzeln wie nach einem langen Winter. Ich schirmte die Augen mit der Hand ab und erblickte seine Silhouette auf dem Bootsanleger, an dem ein Kahn leise schaukelte. Dag saß da, die Arme hinter sich aufgestützt und schaute übers Meer. Eine zusammengeschobene Angel und ein leerer Köcher lagen vergessen neben ihm auf den Planken. Er kehrte mir den Rücken zu. Wind und Sonne verfingen sich in seinem Haar, ließen es golden aufleuchten.
Ich atmete tief durch und ging hinunter zum Ufer. Der Wind stand mir entgegen, trotzdem drehte Dag sich nach mir um, als hätte ich ihn mit meinem Blick berührt. Er sprang auf, erwartete mich. Eine Haarsträhne rutschte ihm in die Stirn.
Dann standen wir voreinander, verlegen und wortlos, wussten nicht, wohin mit unseren Händen.
“Hattest du eine gute Fahrt?”, platzte er schließlich heraus, als sei er erleichtert, einen unverfänglichen Anfang gefunden zu haben.
Ich konnte nur nicken, ein Troll saß mir in der Kehle und gluckste.
Dag erwartete auch keine Antwort. Ein kurzes unsicheres Lächeln, dann lief er zum Wagen und holte meine Tasche aus dem Kofferraum. Mit klopfendem Herzen folgte ich ihm zum Haus, das sich beim Näherkommen unerwartet vor uns aufrichtete, als eine letzte Felsenzunge den Blick auch auf das Erdgeschoss freigab. Die Wände bestanden aus ganzen Stämmen, außen verkleidet von Brettern mit Ochsenblut-Anstrich, die Fensterrahmen weiß abgesetzt. Innen wirkte alles hell und großzügig, ein einziger Raum, in dessen Hintergrund ich eine Kochnische mit Tresen ausmachen konnte. Dann Bücherregale, ein Schreibtisch mit aufgeklapptem Laptop aber kein Fernseher. Die Möbel schienen nach Maß hergestellt. Sie waren höher als üblich. Auf Sesseln, Bänken und auch auf dem Boden lagen jede Menge Felle. Eine gewundene Kiefernholztreppe führte nach oben.
Dag stellte meine Tasche auf die unterste Stufe, drehte sich unschlüssig zu mir um. Dann fiel ihm ein, was man in so einem Fall wohl sagte.
“Möchtest du etwas trinken – oder äh, essen? Ich habe bloß vergessen, etwas vorzubereiten.”
Ich musste grinsen, den großen Mann so ratlos zu sehen. “Ich könnte uns Pasta machen. Hast du Nudeln im Haus?”
Sein Gesicht hellte sich merklich auf. “Klar, hab ich.”
Er wühlte in einem der oberen Schränke und zog tatsächlich ganz brauchbare Spaghetti hervor.
“Eine Dose mit Tomaten, Oregano, eine Zwiebel, Olivenöl, Parmesan?”, hakte ich nach.
Er besaß nur Tomatenmark und Olivenöl, das musste reichen, zumal er mit etwas ganz besonderem aufwarten konnte: einem Beutel roh gefrorener Frutti di Mare. Als er damit aus den Tiefen seiner mit selbst geangeltem Fisch vollgestopften Kühltruhe wieder auftauchte, grinsten wir uns an und von da an waren wir Freunde.
Später wuschen wir zusammen ab. Ich hörte ihn hinter mir hin- und hergehen, die Dinge wegräumen, die er abtrocknete. Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Schließlich legte er das Handtuch weg, trat ganz dicht hinter mich und ließ mich seinen warmen Atem im Nacken spüren, dass sich mir jedes verdammte Härchen aufstellte. Er jagte heißkalte Schauer bis in meine Eingeweide. Ich lehnte mich zurück gegen seine Brust und mit einemmal wollte ich ihn, wollte von ihm berührt werden, so dringend, dass meine Knie weich wurden.
Stöhnend zog er mich an sich, küsste meinen Hals, glitt aufwärts und suchte mit bebenden Lippen meinen Mund. Als seine Hände unter meinem T-Shirt auf Wanderschaft gingen, merkte ich, wie er schwankte. War ihm schwindelig, so wie mir, der ich langsam den Kopf verlor in seinen Armen?
Ich drehte mich zu ihm um, ließ mich mit blinden Augen von ihm überwältigen. Alles hatte mich hierher zu ihm gezogen, aber wie sehr ich seine harten Lippen, seine fordernde Zunge in meinem Mund vermisste, das lehrte mich erst sein Kuss.
Er hatte sich rasiert, dennoch genügten ein paar Sekunden und mein Hals, mein Gesicht brannte
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