Hinter Jedem Konflikt Steckt Ein Traum, Der Sich Entfalten Will
Seite. Wenn Jens F. von seiner Partnerin verstanden werden will und sein Wohlbefinden von ihren Reaktionen abhängig macht, wertet er seine Wünsche ab und verlässt die eigene Seite. Er steht aber auch nicht auf ihrer Seite, weil er sie ja verändern will und sie ihn dann noch weniger versteht und vor ihm zurückweicht. Wenn ich mich in die Partnerin einfühle, kann ich aus ihrer Position nur fragen: »Warum soll ich dich verstehen, wenn du etwas anderes willst als ich. Außerdem willst du gar nicht nur, dass ich das verstehe, du willst auch, dass ich nicht mehr will, was ich will.«
Ich fragte Jens, ob es einen Unterschied machen würde, wenn er für eine Weile nur bei sich, auf seiner Seite und seinen Wünschen bliebe, etwa mit den Worten: »Ich möchte am Wochenende einen Freund besuchen« oder »Ich brauche Zeit für mich alleine«, anstatt gleich mitzudenken und zu sagen: »Ich will, dass du verstehst, dass ich einen Freund besuchen will« oder »Du musst doch verstehen, dass ich auch mal alleine sein will«. Er spürte den Unterschied sofort. Er müsste dann nicht
mehr kämpfen, auch wenn sie ihn nicht versteht und wäre wirklich bei sich und seinen Bedürfnissen. Dann hätte er die Möglichkeit, sich für eine Weile auf ihre Seite zu stellen und mitzuempfinden, dass es ihr schwer fällt, an einem Wochenende auf ihn zu verzichten. Er könnte sie besser anschauen mit ihrem Wunsch nach mehr Verbindlichkeit und gleichzeitig bei sich feststellen, dass er diesen Wunsch nicht oder noch nicht spürt. Interessant ist es, dass dieser innere oder äußere Seitenwechsel nur von ihm vollzogen werden muss und schon wird die ganze Diskutiererei hinfällig und das Muster funktioniert nicht mehr. Es könnte aber, und dies kann für beide bedrohlich sein, bedeuten, dass sie sich irgendwann eingestehen müssen, nicht zueinander zu passen, weil Wünsche und Beziehungsvisionen völlig auseinandergehen. Menschen lassen sich trotz aller Liebe nicht passgenau verändern und formen, auch wenn das Bedürfnis nach Harmonie und Erfüllung, das dahintersteht, so stark ist.
Wir müssen lernen, egoistischer zu werden in unseren Beziehungen, besonders dann, wenn es uns vorgeworfen wird. Die unzufriedenen Partner haben recht: Wir sind egoistisch und werden sogar rücksichtslos, wenn wir andere Bedürfnisse haben, aber noch keine wirkliche Erlaubnis, für unsere Wünsche einzustehen. Es muss etwas Gutes an diesem Egoismus geben.
W enn wir unsere Wünsche und Bedürfnisse bewusst ernst nehmen – »So bin ich, das will ich, das ist mir wichtig« -, dann ist die Gefahr gering, dass wir unsere Mitmenschen damit verletzen. Böse und verletzend werden wir, ohne es zu merken, wenn diese wichtige Seite in uns keine Berechtigung bekommt. Die Erlaubnis aber müssen wir uns selbst geben.
Das ist das heimliche Ziel oder der verborgene Traum in einem Beziehungskampf: Ich stehe zu mir und meinen Wünschen. Der Partner muss sich nicht ändern. So wie der eine Partner Wünsche haben darf, kann der andere traurig darüber sein oder Angst haben. Es gibt nur eine Frage, die sich beide stellen sollten: Mag ich meinen Partner so, wie er sich verhält und fühlt?
Wenn ich zu mir und meinen Wünschen stehe, muss sich mein Partner nicht verändern.
Ein ehrliches und deutliches Nein ist ein großes Ja für die eigene Seite.
Das unstillbare Bedürfnis, den anderen zu verändern oder auf die eigene Seite zu ziehen, kann mit alten Kindheitsgeschichten und der Herkunftsfamilie zu tun haben. Das innere Kind in vielen Erwachsenen kämpft um die Befriedigung eines natürlichen und sehr alten Bedürfnisses: endlich gesehen und verstanden zu werden. Als Kinder sind wir davon abhängig, dass Vater, Mutter und andere wichtige Bezugspersonen uns sehen und verstehen. Hatten die Eltern Schwierigkeiten damit, konnte sich ein Urvertrauen, dass diese elementaren Bedürfnisse erfüllt werden, nicht sicher etablieren. Eine Partnerin, die etwas anderes will oder nicht einverstanden ist, kann alte Ohnmachts – und Abhängigkeitsgefühle auslösen. Wenn die Partnerin Nein sagt, ist das unbedingt ernstzunehmen. Das Nein will gehört werden. Was fehlt, ist ein neuer oder unpersönlicher Umgang damit. Wir verwechseln ein Nein mit Gegnerschaft, das macht es so schwer. Um ein Nein nicht als Kritik oder schlimmer noch als Untergang zu nehmen, kann es hilfreich sein, die Frage zu stellen, die immer bei Störungen und Irritationen gestellt werden kann:
Was ist gut am Nein, das mich jetzt
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