Hinter verschlossenen Türen
wissen, was der Schrei zu bedeuten hatte. Werden denn die Glückwünsche kein Ende nehmen? Ich möchte auf mein Zimmer gehen. – Ein unwillkürlicher Schauder überlief sie. – Nur einen Augenblick muß ich mich zurückziehen; hier ist mir's, als sollte ich ersticken.
Ihre flehende Gebärde, während sie diese Worte sprach, überraschte und rührte ihn.
Da kommt deine Mutter, entgegnete er, sie wird gewiß eine Auskunft finden. Leise berührte er den Arm seiner stolzen Schwiegermutter und flüsterte ihr zu: Genofeva fühlt sich sehr unwohl; sie wünscht sich einen Augenblick auf ihrem Zimmer zu erholen. Läßt sich das nicht bewerkstelligen?Was fehlt dir denn? fragte Frau Gretorex unzufrieden, du warst doch am Nachmittag nicht leidend.
Die Tochter nahm sich zusammen, so gut sie konnte: Nur der Schrei – stammelte sie.
Torheit! Wie oft hast du die Margret schon schreien hören. Jetzt ist ja alles vorbei.
Ja, ich muß wissen, ob sie es wirklich war; laß doch einmal nachsehen.
Ein verächtliches Lächeln spielte um Frau Gretorex' Lippen: Es soll geschehen, um dich zu beruhigen, sagte sie, winkte einen Diener herbei, dem sie einen Befehl erteilte und wandte sich dann wieder zu ihren Gästen. Genofeva versuchte ihrem Beispiel zu folgen, aber es kostete ihr augenscheinlich die äußerste Anstrengung. Sie saß aschbleich da und war kaum noch imstande, ein Wort hervorzubringen. Angstvoll heftete sich ihr Auge auf die Tür, als hinge ihr Leben von der Nachricht ab, welche der Diener zurückbringen würde.
Kameron, dem von alledem nichts entging, verdoppelte seine Höflichkeit und Verbindlichkeit den Gästen gegenüber, um wieder gut zu machen, was Genofeva etwa versäumen oder verfehlen sollte. Eben war er im Begriff, ihr vorzuschlagen, er wolle sie selbst auf ihr Zimmer führen, als plötzlich eine völlige Veränderung mit ihr vorging. Eine rasche Entschuldigung murmelnd, war sie aufgestanden und nach der Tür geeilt.
Ihr Gatte wollte folgen, aber das Gedränge war so groß, daß er sie einen Moment aus den Augen verlor; doch bald bekam er sie wieder auf der Treppe zu Gesicht; er sah sie schnell und sicher die Stufen hinaufsteigen.
Vergebens strebte er, ihr nachzueilen; Freunde und Bekannte hielten ihn auf, um ihm bald hier ein Scherzwort, bald dort einen Glückwunsch zuzurufen. So waren bereits mehrere Minuten verflossen, ehe er die Zimmertürerreichte. Er fand sie verschlossen, und selbst auf sein wiederholtes Klopfen erfolgte keine Antwort.
Aufs äußerste beunruhigt und erregt durch diesen neuen unerwarteten Vorfall rüttelte er an der Klinke und rief Genofeva bei Namen.
Dies hatte den gewünschten Erfolg. Der Schlüssel drehte sich im Schloß, und ihr Gesicht erschien an der Türspalte. Er war erstaunt, zu sehen, daß es hinter ihr im Zimmer ganz dunkel war.
Ich komme im Augenblick heraus, sagte sie lächelnd; es geht mir schon viel besser.
Laß mich bei dir bleiben, bis du ganz erholt bist, erwiderte er besorgt.
Sie trat zu ihm auf den Gang. Wenn ich nur noch zehn Minuten ganz in Ruhe bleiben kann, sagte sie, werde ich wieder wohl genug sein, um hinunterzukommen. Bitte, laß mich solange allein.
Wohl hätte er bleiben und sein neues Anrecht geltend machen können, aber ihrem flehenden Blick vermochte er nicht zu widerstehen. Nach einigen ermunternden Worten verließ er sie. Wenig aufgelegt, sich wieder unter die Hochzeitsgesellschaft zu mischen, wollte er sich gerade nach seinem Ankleidezimmer begeben, als der Diener, welcher vorhin den Auftrag erhalten hatte, sich nach Margret zu erkundigen, auf ihn zutrat.
Entschuldigen der Herr Doktor, ist die junge gnädige Frau wohl in ihrem Zimmer?
Was gibt es denn? Man darf sie jetzt nicht stören.
Ich sollte nur Auskunft geben, wegen der Margret. Sie ist gar nicht im Hause; gleich nach dem Abendessen ist sie ohne Erlaubnis fortgegangen. Sie meinte wohl, man werde sie nicht vermissen. Aber Frau Fenton, die Haushälterin sieht alles und –
So war sie gar nicht hier, als der Schrei gehört wurde? unterbrach ihn der Doktor.
Nein, aber Peter sagt – er kam gerade die Treppe hinauf – der Schrei sei aus dem Zimmer des gnädigen Fräuleins gekommen. Er muß sich geirrt haben, denn dort war ja niemand.
War denn nicht eine Putzmacherin oder Näherin da drinnen? Ich sah doch eine solche Person hineingehen.
Wohl möglich, aber dann ist sie auch wieder fortgegangen; das gnädige Fräulein – ich wollte sagen die Frau Doktor, hat ja ihre Tür hinter sich
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