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Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
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der Mutter nur die Lippen zum Kusse, in jener kühlen förmlichen Art, die Kameron schon bekannt war. Auf Wiedersehn, Mama, murmelte sie, grüße auch Papa von mir. Ich – aber wo ist Peter? Er muß meinen Koffer hinuntertragen.
    Peter kommt gleich. Auf Wiedersehn, Herr Schwiegersohn. Bringen Sie mir mein Kind gesund und froh zurück! rief Frau Gretorex und winkte den beiden voranzugehen. Aber die junge Frau zögerte noch.
    Ich will hier warten, bis Peter den Koffer holt, erklärte sie und verharrte bei diesem Entschluß, obwohl ihr Gatte sie bat, hinunterzukommen, da jetzt gerade wenig Leute im Hausflur seien. Als Peter erschien, ging sie selbst mit ihm in das Zimmer, zeigte ihm den Koffer, der schon zugeschnallt dicht an der Tür stand und sah zu, wie er ihn hinaustrug.
    Wo sind nur alle Dienstmädchen? meinte Frau Gretorex unzufrieden, ich will doch lieber dein Zimmer gleich abschließen.
    Oh, das hat Zeit bis nach unserer Abreise, rief die junge Frau, die Mutter zur Treppe begleitend. Als ihr schweres Schleppkleid vor ihnen über die Stufen rauschte, nahm sie Doktor Kamerons Arm und ließ sich von ihm hinabführen.
    Wir wollen so unbemerkt wie möglich verschwinden, flüsterte sie.
    Aber schon hatte sich die Nachricht von der bevorstehenden Abreise verbreitet. Die Neuvermählten sahen sich von Freunden umdrängt, die ihnen unter Lachen und Scherzen ihr Lebewohl zuriefen. Genofeva erwiderte freundlich Wort und Gruß, doch glaubte ihr Gatte zu bemerken, daß ihr Blick unverwandt auf der Gestalt ihrer Mutter ruhte, deren Bewegungen sie unablässig mit den Augen folgte.
    Endlich war der Abschied vorüber. Sie standen draußen am Wagenschlag.
    Nun sind wir glücklich so weit, rief der Doktor.
    Ich muß nur noch Peter etwas sagen, entgegnete sie, trat schnell auf den alten Diener zu und drückte ihm dankend ein Abschiedsgeschenk in die Hand.
    Peter verbeugte sich und eilte ins Haus. Sie warf noch einen Blick zurück; ihr Gatte glaubte sie seufzen zu hören, dann wandte sie sich und stieg rasch ein. Der Doktor folgte ihr, schlug die Tür schallend zu und der Wagen rollte davon.
    Plötzlich fühlte der junge Ehemann, wie das Haupt seiner Gattin ihm schwer auf die Schulter sank. Er blickte ihr ins Gesicht und erkannte, daß sie in Ohnmacht gefallen war.

Sechstes Kapitel.
    Nachdem Gryce von der Herrin des Hauses auf so schnöde Weise entlassen worden war, befand er sich in höchst niedergeschlagener Stimmung. Der Irrtum, den er begangen, wurmte ihn gewaltig. Er hatte nicht nur dem Manne, welchem er dienen wollte, ganz unnütz die peinlichsten Gemütsbewegungen bereitet, sondern auch sich selbst lächerlich gemacht. Bei der Behutsamkeit, mit der er stets verfuhr, bei seiner Schlauheit und Umsicht war ein so vollständiges Mißlingen wie in diesem Fall wirklich ganz unerhört.
    Ja, ja, ich werde alt, seufzte Gryce mit bitterm Lächeln, während er sich einen Ausweg durch die festlich geschmückte Menge suchte, welche in der Vorhalle und auf der untern Treppe hin- und herwogte. Auf einmal schien er sich jedoch eines andern zu besinnen; anstatt weiterzugehen, wählte er sich einen Standpunkt dicht an der Wand, wo er, ohne selbst bemerkt zu werden, den ganzen Schauplatz überblicken konnte.
    Bin ich einmal bei dieser vornehmen Hochzeit, murmelte er für sich, so will ich wenigstens die Braut sehen. Ich muß wissen, ob sie dem Bilde noch ähnlicher sieht als jenes Mädchen. Ist das nicht der Fall, so trägt der Photograph einen Teil der Schuld, und ich brauche mich noch nicht für ganz altersschwach zu halten.
    Es währte nicht lange, bis die ersehnten Klänge desHochzeitsmarsches ertönten. Es wurde Platz gemacht, um Herrn und Frau Gretorex durchzulassen, dann, nach einer ungewöhnlich langen Pause, sah man, dem sonstigen Herkommen entgegen, Braut und Bräutigam zusammen die Treppe herunterschreiten. Sie kamen so nahe an der großen Standuhr vorbei, daß der Schleier der Braut den Detektiv streifte; unbemerkt entfernte er sich, sobald das Paar die Schwelle des Hochzeitssaals betrat.
    Gryce hatte keines zweiten Blickes bedurft, um sich zu überzeugen, daß dieses bleiche, stolze Weib das wirkliche Original des Bildes sei, so sprechend war die Aehnlichkeit der Züge und des Ausdrucks. Kein Zweifel mehr, er hatte sich getäuscht. Langsam und trübselig schlich er aus dem Hause, die eisbedeckten, schlüpfrigen Stufen hinab und bog gerade um die Ecke, als er jenen rätselhaften Schrei vernahm, welcher unter der

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