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Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
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wußte, daß der Doktor von keinem Hochzeitsgast bemerkt worden war, sonst würde das bei der Gerichtsverhandlung ans Tageslicht gekommen sein; auch von den Dienern, die er befragte, hatte keiner eine solche Persönlichkeit gesehen. Und war es denkbar, daß er in so kurzer Frist von hier bis zur 22. Straße gelangen konnte? – Freilich, sein Pferd war fast zu Tode gehetzt gewesen, und um einen bestimmten Zweck zu erreichen, setzt der Mensch ja alles daran. Was aber war der Zweck gewesen? Mildred Farley zu retten – oder sie umzubringen? Daß Molesworth einen falschen Ort angegeben, wo er sie gefunden habe, daß er die Fabel von dem zerbrochenen Fläschchen aufgebracht, sprach gegen ihn. Die Wahrscheinlichkeit, daß der Doktor der Täter sei, war noch immergroß, von welcher Seite der Detektiv die Sache auch betrachten mochte.
    Ehe Gryce die Küche verlieh, warf er noch einen Blick auf die Hintertreppe; sie führte unmittelbar in den Hausflur und von dort ins Freie, so daß sich das Mädchen leicht unbemerkt hatte entfernen können, während alle Leute im Hause anderweitig beschäftigt waren. Dann mochte sie sich auf die Verandastufen gesetzt haben, um auf den Doktor zu warten. Warum nicht? – In dem Briefchen, das sie im Hotel hinterlassen, konnte sie ihm ja Nachricht gegeben haben, wo er sie finden werde. Das Gegenteil ließ sich wenigstens nicht beweisen.
    Zwei Dinge galt es nunmehr festzustellen: erstens, ob des Doktors Wagen an jenem Abend am Hause vorgefahren sei, und zweitens, aus welchem Beweggrund Frau Kameron bestrebt war, ihre Verbindung mit dem unglücklichen Mädchen geheimzuhalten. Gryce machte sich ohne Zögern und mit wahrhaft jugendlichem Eifer an die Lösung dieser Aufgabe.
    Seinen neuen Bekannten in der Küche Lebewohl sagend, ging er zur Hintertür hinaus und um das Haus herum. Gleich darauf hörte Jean an der Vordertür klingeln; er öffnete und erblickte zu seinem nicht geringen Erstaunen den eben entlassenen Besucher, der, mit ernstem, unbeweglichem Gesicht, als sehe er ihn zum erstenmal, sich erkundigte, ob Frau Gretorex zu Hause sei und er sie sprechen könne. Dann folgte er dem verblüfften Diener in das Wohnzimmer, mit der Miene eines Mannes, der in den niederen Küchenregionen überhaupt nichts zu suchen hat.
    Frau Gretorex war das letztemal im Unwillen von dem Detektiv geschieden, und zwar, wie dieser sich sagen mußte, nicht ohne guten Grund. Als er jetzt anhub, sich wegen des damals begangenen Irrtums zu entschuldigen, unterbrach sie ihn mit scharfem Ton:
    Ich verstehe nicht, wovon Sie reden, mein Herr. Ich weiß von keinem Irrtum, außer daß Sie, meinem bestimmt ausgesprochenen Wunsch zuwider, meinen Schwiegersohn ins Vertrauen gezogen haben.
    So hat er Ihnen nie Aufschluß über die Ereignisse jenes Abends gegeben?
    Ich habe keinen begehrt.
    Dem Detektiv entschlüpfte ein leiser Ausruf der Überraschung. Sie konnten freilich nicht ahnen, was für merkwürdige Dinge wir erlebt hatten, sagte er. Wir haben an jenem Abend eine Doppelgängerin Ihrer Tochter hier in der Stadt gesehen.
    Eine Doppelgängerin?
    Ja; sie glich ihr in solchem Grade, daß selbst ihr bester Freund – ich meine Doktor Kameron – sich durch die Aehnlichkeit täuschen ließ.
    Das Staunen der Mutter kannte keine Grenzen.
    Sie werden es daher begreiflich finden, daß auch ich die Person für Fräulein Gretorex hielt, um so mehr, da ihre Kleidung zu der Beschreibung des Kleides paßte, in welchem sie verschwunden war.
    Ungläubige Furcht spiegelte sich in Frau Gretorex' Zügen. Ich verstehe Sie noch immer nicht, Herr Gryce. Wer war jene Person, was ist aus ihr geworden? Sie machen mich ganz neugierig.
    Gryce blickte sich vorsichtig um und sagte sodann: Sind wir hier ganz allein?
    Es hört uns niemand; reden Sie, wer war die Dame?
    Die Zeitungen haben ihren Namen kürzlich viel erwähnt, erwiderte er, daher wird er ihnen bekannt sein. Es war Mildred Farley, das junge Mädchen, das am nämlichen Abend an Gift gestorben ist.
    Farley, wiederholte sie langsam und nachdenklich, Farley? –
    Ich dachte mir gleich, daß Sie den Namen kennen würden, murmelte er, ihren Gesichtsausdruck scharf beobachtend.
    O nein, Sie irren sich, entgegnete sie ruhig und würdevoll; ich kenne niemand dieses Namens. Was bringt Sie auf den Gedanken?
    Sie ist so oft hier im Hause aus- und eingegangen, war Ihrer Tochter so wohl bekannt, und hat sich, wenn mich nicht alles täuscht, auch an dem Abend hier im Zimmer Ihrer Tochter befunden, bevor

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