Hinter verschlossenen Türen
bringen?
Ein sehr gewichtiger, über den uns die Frau Doktor vielleicht aufklären kann. In dem Zimmer der Verstorbenenfand man allerlei Stückchen und Abfälle von Samt und Seide, welche die Polizei als Proben der Stoffe aufbewahrt hat, aus denen die Kleider gefertigt waren. Darunter befand sich auch ein Stückchen Besatz – hier ist es – und da man neulich zufällig auf einem Kleide der Frau Doktor Kameron die gleiche Borte bemerkte, lag die Vermutung nahe, daß sie die Dame sei, für welches das arme Mädchen gearbeitet hat.
So kann auch nur ein Mann urteilen, entgegnete Genofeva mit kühlem Spott; wahrscheinlich befinden sich gegenwärtig in hiesiger Stadt mindestens zwanzig Damen, die den nämlichen Besatz am Kleide tragen.
Auch Kleider von diesem grauen Samt, diesem andern Stoff hier – wie heißt er doch, oder solchem weichen weißen Zeug wie dieses?
Genug, genug, rief die junge Frau, während ihr ein halbes Dutzend verschiedenfarbiger Proben in den Schoß fielen; zu den Stoffen will ich mich gern bekennen, aber nicht zu Mildred Farley. Ich weiß, was man mir heute für einen Streich gespielt hat und bin den Herren sehr verbunden, aber es war verlorene Mühe und Zeit. Wie das Mädchen in den Besitz der Proben gekommen ist, kann ich nicht sagen, aber für mich hat sie nie geschneidert. Mit halb verächtlichem, halb sorglosem Lächeln schob sie die Stücke beiseite und sah dabei so stolz und gebieterisch aus, daß der Besucher schon im Begriff stand, sich unverrichteter Sache zu entfernen. Wenn ich etwas wüßte, würde ich es Ihnen gern mitteilen, fuhr sie herablassend fort. Aber mir ist es ebenso unbegreiflich wie Ihnen, wie die Proben von meinen Kleidern an jenen Ort gekommen sein können. Genügt Ihnen das nicht?
Er stand auf, um sich zu verabschieden. Wollen Sie mir denn nicht sagen, wo Sie Ihre Kleider haben machen lassen? fragte er dringend.
Sie schüttelte den Kopf, lachte und blickte ihn schelmisch an. Es ist ein Geheimnis, das ich selbst meinem Mann nicht verraten habe; aber, wenn es denn nicht anders ist, so hören Sie. Sie hob sich auf die Fußspitzen und flüsterte dem Herrn etwas ins Ohr.
Dieser stutzte einen Augenblick und brach dann in ein heiteres Lachen ans.
Ist das Ihr Geheimnis, Frau Doktor? rief er; nun, Sie können sich auf meine Verschwiegenheit verlassen, sobald sie nicht gegen meine Pflicht verstößt.
Sich nochmals bei der Herrschaften entschuldigend, daß er mit seinem Besuch lästig gefallen sei, verließ er mit ehrerbietiger Verbeugung das Zimmer.
Als er fort war, wandte sich Kameron zu seiner Frau:
Was hast du ihm denn für ein Zauberwort zugeflüstert, das ihn so schnell beruhigte? fragte er.
Ach so, scherzte sie, du willst mein Geheimnis auch wissen. Nun, ich sagte ihm, daß die vielbewunderten Kleider überhaupt nicht von einer Schneiderin gefertigt wären. Da ich sie in meiner Eitelkeit ganz besonders hübsch und in eigenartigem Geschmack haben wollte, bestellte ich sie bei einem Damenschneider – und jetzt schäme ich mich darüber.
Vierzehntes Kapitel.
Das hat sie Ihnen gesagt, Herr Inspektor, rief Gryce, und Sie haben ihr Glauben geschenkt?
Sie sprach die Wahrheit, versetzte der andere, der eben von Frau Kameron zurückkam, der Ton ihrer Stimme war überzeugend, ich zweifle nicht im mindesten an ihrem Wort.
Nun, da ich es nicht mit eigenen Ohren gehört habe, sind meine Bedenken wohl gerechtfertigt. In einigen Tagen wird es vielleicht mehr zu berichten geben; ob etwas dabei herauskommt, läßt sich freilich nicht vorhersagen.
Gryce fühlte sich innerlich unbefriedigt. Je mehr er sich in den Fall vertiefte, um so verworrener erschien er ihm. Einstweilen ließ er Doktor Molesworth polizeilichüberwachen; sein Instinkt, der ihn meist richtig leitete, warnte ihn davor, an seine Schuld zu glauben und zu seiner Verhaftung zu schreiten, ehe nicht alle andern Möglichkeiten auf das Gewissenhafteste geprüft waren. Daß sein Argwohn in letzter Zeit eine sehr verwunderliche Richtung genommen hatte, gestand er sich offen ein. Es war ja gegen allen gesunden Menschenverstand, eine vornehme Dame von Genofevas Charakter in irgendwelchen Zusammenhang mit dem Tod der armen Näherin zu bringen. Trotzdem ließ sich der Verdacht nicht so ohne weiteres von der Hand weisen. Die große Dame hatte nicht verschmäht, ihre Zuflucht zur Lüge zu nehmen, um den Namen ihrer Schneiderin nicht angeben zu müssen (denn was sie seinem Vorgesetzten ins Ohr geflüstert, glaubte Gryce
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