Hinter verschlossenen Türen
ahnte ich, daß sie schon vierundzwanzig Stunden später den Tod finden würde und möglicherweise durch eigene Hand.
Genofeva schwieg; aber der Detektiv war noch nicht zu Ende.
Sie nahmen Abschied von ihr – darf ich fragen wo?
An der Ecke des Broadway und der Franklinstraße. Sie kehrte nach der City zurück, und ich suchte meine Cousine auf. Daß ich nur ein paar Stunden bei ihr war,hat sie dir nicht gesagt, fügte sie hinzu, indem sie sich an ihre Mutter wendete.
Frau Gretorex sah verstimmt und mit verächtlicher Miene da.
Ich bedaure jetzt, den tollen Streich gemacht zu haben, flüsterte Genofeva mit einem reuigen Blick auf ihren Gatten. Es war unschicklich in meiner Stellung, und wenn ich mich gar noch öffentlich dazu bekennen soll, wird auch dir Verdruß und Scham darüber nicht erspart bleiben.
Kameron zuckte die Achseln. Das ist jetzt von sehr wenig Belang, sagte er. Hier handelt es sich um die Frage: hat Mildred Farley das Gift selbst genommen oder ist es ihr von Molesworth eingeflößt worden?
Deshalb, fiel Gryce ein, wäre es wichtig, zu erfahren, ob sich Fräulein Farley über ihre Zukunftspläne geäußert hat, bevor sie sich von Ihnen trennte, Frau Doktor.
Soviel ich verstand, sollte ihre Hochzeit mit der meinigen zugleich stattfinden.
Dann müssen Sie ja höchlich überrascht gewesen sein, als sie am Abend zu Ihnen ins Zimmer trat.
Gewiß; ich wußte es mir anfangs gar nicht zu deuten.
Und wie erklärte sie es?
Einfach damit, daß ihre Trauung verschoben sei, und sie bei meiner Toilette zugegen sein möchte. Sie sah ernst und unglücklich aus; aber da sie mir nichts Näheres mitteilte, vermied ich es, sie mit Fragen zu quälen.
Von Tod oder Selbstmord hat sie nicht gesprochen, auch nicht Abschied von Ihnen genommen?
Frau Kameron schien nachzudenken. Sie war in großer Aufregung, entgegnete sie dann, und hat mir auch vielleicht Lebewohl gesagt; aber ich selbst befand mich in zu erregter Stimmung, um darauf zu achten. Wenn ich mir jetzt alles wieder vergegenwärtige, scheint es mir nicht unmöglich, daß sie den verzweifelten Schritt getan hat. Doch würdemeine Ueberzeugung, daß sie das Gift freiwillig genommen hat, vor den Geschworenen schwerlich als Beweis gelten können.
Das zwar nicht, entgegnete Gryce, sich dankend verbeugend, aber für einen Detektiv ist sie von Wichtigkeit.
Er war im Begriff, sich zu entfernen, doch Frau Gretorex hielt ihn zurück, um ihm die größtmögliche Rücksicht und Schonung für ihre Familie ans Herz zu legen. Den Augenblick benutzend, schlüpfte Genofeva zu ihrem Gatten hinaus.
Du zürnst mir, Walter, und mit Recht, murmelte sie, seinen Arm umfassend und ihm bittend ins Auge schauend. Mein Betragen erscheint dir tadelnswert und meine Heimlichkeiten unverzeihlich; aber ich habe nur aus Schwachheit gefehlt und nichts Böses gewollt. Kannst du mir nicht vergeben?
Er antwortete nicht, sondern ergriff ihre Hand und zog sie mit sich in eine Fensternische. Genofeva, sprach er ernst, eines verlange ich zu wissen: Gryce fragte, ob du Mildred Farley im Zimmer zurückgelassen hättest, als du zur Trauung gingst, und du antwortetest: »Ja«. Doch sah ich damals mit eigenen Augen, wie du die Tür abschlossest und den Schlüssel einstecktest. Warum tatest du das, wenn das Mädchen noch dort war und sich eben zum Fortgehen rüstete?
Weil – ihre Lippe bebte, aber sie sah ihm fest ins Auge – weil ich nicht wußte, was ich tat. Vielleicht sind nicht alle Bräute vor der Hochzeit so aufgeregt wie ich es war. Und dazu kam noch der Schmerz – ganz plötzlich, gerade als ich die Schwelle überschritt – wohl infolge der nervösen Erregung – mir vergingen fast die Sinne; so schloß ich die Tür und zog den Schlüssel ab. Als es mir wieder einfiel, war es zu spät. Mir ist nur unerklärlich, wie sie in meiner Abwesenheit herauskommen konnte: das Zimmer hat nur die eine Tür, auch gibt es keinen zweiten Schlüssel, unddoch war sie fort, als ich zurückkam, ich wußte nicht wie, noch wohin.
Das braucht Sie nicht weiter zu beunruhigen, hörte sie eine leise Stimme neben sich sagen, es ist leicht zu verstehen. Gryce kam hinter der Ecke hervor und winkte ihnen, ins Zimmer zurückzutreten. Wenn Sie einen Augenblick hersehen wollen, kann ich Ihnen zeigen, auf welche Weise Fräulein Farley hinausgekommen ist.
Genofeva war zusammengefahren. Folgte ihr denn dieser Mensch wie ihr Schatten? Sah und hörte er alles, was sie tat? Unruhig ging sie ihrem Gatten nach, der schon
Weitere Kostenlose Bücher