Hinter verschlossenen Türen
Inspektor war nicht so zuversichtlich, Molesworth ist kein Schwächling, sagte er, hat er einmal den Entschluß gefaßt, die Wahrheit zu verbergen, so wird man ihm schwerlich ein Geständnis abzwingen können.
Er weiß noch nicht, daß meine Frau gestanden hat, daß das Mädchen in ihrem Zimmer gestorben ist.
Wollen Sie es ihm sagen?
Wenn Sie nichts dagegen haben.
Ich glaube nicht, daß es genügen wird, um ihm die Zunge zu lösen. Wenn er nicht vor einem Meineid zurückgeschreckt ist, um Ihre Frau vor den Folgen zu schützen, die sie fürchtete, so wird ihn ein solches indirektes Zeugnis schwerlich bewegen, seine frühere Aussage zu widerrufen.
Er wird es dennoch tun. Meine Gründe werden ihn umstimmen. Die Verzweiflung soll mir Kraft geben. Wäre er ein Mann von Stahl, ich will ihm die Wahrheit abringen.
Der Inspektor sah Kameron bewundernd an. Ich wollte nur, ich könnte Ihnen Gelegenheit geben, den Versuch zu machen, sagte er, leider ist das im Augenblick nicht möglich; ich bin genötigt, Ihnen die Mitteilung zu machen, daß Julius Molesworth nicht aufzufinden ist. Er ist verschwunden.
Verschwunden?
Ja, wir haben es geheim gehalten, doch verhält es sich so. Im Hospital hat er sich seit mehreren Tagen nicht blicken lassen, auch in seiner Wohnung ist er nicht zu finden. Ob er tot ist oder die Flucht ergriffen hat, wissen wir nicht. Eines Abends entzog er sich der Beobachtung der Polizei; er verschwand, und es ist uns trotz aller Anstrengung bisjetzt nicht gelungen, eine Spur seines Aufenthalts zu entdecken.
Molesworth fort! Dann hat er doch wohl mehr Grund gehabt, den Meineid zu schwören, als wir dachten. Die Flucht sieht aus wie ein deutlicher Beweis seiner Schuld.
Welcher Schuld – doch nicht des Mordes?
Des Inspektors trockener Ton brachte Kameron zur Besinnung. Der Beweis, daß Mildred Farley tot gewesen, ehe Molesworth das Haus betrat, war unerschütterlich; auch lag nicht der geringste Grund vor, warum Genofevas kaltherziger Liebhaber dem Mädchen nach dem Leben getrachtet haben sollte, dessen einzige Schuld war, daß sie der Dame im Wege stand, die ihre Stellung in der Welt wieder einzunehmen wünschte. – Kameron schämte sich, den Verdacht ausgesprochen zu haben. Und doch – diese plötzliche Flucht – was konnte sie anders bedeuten als Furcht? – Furcht wovor? – Das war jetzt das Rätsel, welches zu lösen er sich berufen fühlte.
Julius Molesworth besitzt den Schlüssel des Geheimnisses, rief Kameron. Sonst würde er jetzt nicht die Stadt verlassen, da ihn das höchste Berufsinteresse hier festhält. Ich will mir den Schlüssel verschaffen. Teilen Sie mir die näheren Umstände mit, die seine Flucht begleiten; vielleicht finde ich darin einen Anhaltspunkt, den nur ein Fachgenosse entdecken kann.
Der Verlauf war sehr einfach. Molesworth fuhr eines Abends wie gewöhnlich im Wagen nach einem Haus der Vorstadt, wo er einen Krankenbesuch zu machen hatte; er trat ein, kam aber nicht wieder heraus. Das Haus hat eine Hintertür, durch die er es sofort wieder verlassen haben muß, denn die kranke Frau, die ihn erwartete, sagt, er sei gar nicht bei ihr gewesen. Seinen Kutscher hatte er nicht mitgenommen, und der Wagen blieb vor der Tür stehen, bis ihn ein Polizeidiener nach dem Stalle fuhr.Er scheint die Flucht vorher geplant zu haben, denn er hat all sein Geld bei der Bank erhoben und eine kleine Reisetasche mitgenommen.
Gestatten Sie, daß ich den Versuch mache, ihn aufzufinden! Zwar bin ich kein Geheimpolizist, aber diese furchtbare Zeit hat meine Beobachtungsgabe geschärft; ich möchte die Probe wagen.
Ich wüßte keinen Grund, es Ihnen zu verwehren. Wir brauchen den Mann und wollen kein Mittel unversucht lassen, ihn herbeizuschaffen. Aber er hat einen Vorsprung von mehreren Tagen und kann schon viele hundert Meilen weit sein. Ist es Ihnen möglich, Ihre Frau zu verlassen?
Ich kann nicht anders. Mit den ungelösten Fragen und Zweifeln im Herzen an ihrem Lager zu wachen übersteigt meine Kräfte. Ich muß etwas für sie tun, muß für sie wirken, wenn ich bei Sinnen bleiben will, bis sie aus ihrem Schwächezustand erwacht. Auch wird meine Abwesenheit nicht lange währen. Ich habe ein Vorgefühl, als würde ich ihn bald finden.
So gehen Sie, aber – Der Inspektor sprach nicht weiter. Bei seiner Teilnahme für den schwergeprüften Mann bangte ihm vor den Entdeckungen, die diesem noch bevorstanden.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Kameron begab sich geradeswegs nach Frau Olneys Hause.
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