Hintergangen
Bier oder einer Runde Squash einmal etwas teilen konnte. Abends arbeitete er immer lange, sah Lucy so oft wie möglich und verbrachte die restliche Zeit in seiner extravaganten, aber seelenlosen Wohnung. Seine wahren Freunde waren zweihundert Meilen weg, und in den letzten beiden Jahren hatte er eine Ehefrau verloren und den besten Freund – seinen Bruder.
Als Laura ihn nun mit echtem Interesse ansah, wurde ihm klar, dass die meisten Leute, mit denen er zu tun hatte, bloß höflich guckten und gleichgültige Mienen aufsetzten. Er konnte Lauras Hilfsangebot nicht gänzlich ignorieren und wollte das auch gar nicht.
»Das war Kate, meine Exfrau. Das war damals eine ziemlich düstere Zeit für mich, denn als sie mich verlassen hat, hat sie unsere Tochter mitgenommen. Jetzt steht es in ihrer neuen Beziehung aber nicht zum Besten, und sie hat beschlossen, dass sie mich wiederhaben will«, erklärte Tom und beschränkte sich auf die bloßen Fakten, während er ins Feuer starrte, als läge die Lösung für seine Probleme dort in den Flammen.
»Lieben Sie sie denn noch?«
Lauras weiche Stimme verriet ein Gefühl, das Tom nicht einordnen konnte. Als er ihr den Kopf zuwandte, fiel ihm auf, dass sie ihn prüfend musterte. Ohne zu wissen, was das bedeutete, beantwortete er ihre Frage.
»Nein, nicht mehr. Lange Zeit schon, aber das ist nicht der Grund, weshalb sie wollte, dass wir wieder zusammenkommen. Kate liebt Geld – hm, na jedenfalls gibt sie gern Geld aus. Eigentlich paradox, nachdem ich bei Hugos Testamentsverlesung gerade Ihre Reaktion gesehen habe. Kate hätte sich bereits lauthals über die Ungerechtigkeit beklagt.«
»Ich habe inzwischen gelernt, mich nicht lauthals über Hugos Entscheidungen zu beklagen. Sonst hätte ich vermutlich längst meine Stimmbänder ruiniert.« Sie lächelte, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen. »In Kates Augen sind Sie jetzt also der Mann mit dem Geld, ja?«
»Ja, aber nicht aus eigenem Zutun. Ein Chief Inspector verdient zwar nicht schlecht, doch hat mein Bruder mir einen Haufen Geld hinterlassen – in seinem Testament«, brachte er nur mit Mühe heraus.
Laura schien diese Eröffnung ehrlich zu erschüttern.
»Das tut mir ja so leid, Tom. Ich sehe meinen Bruder nicht oft, aber ich wäre am Boden zerstört, wenn ihm etwas zustoßen würde. Wie ist er gestorben, wenn ich Sie das fragen darf?«
Tom schwieg. Es fiel ihm selbst nach all den Monaten immer noch schwer, darüber zu reden.
»Er war ein cleverer Bursche, mein Bruder, aber nicht im herkömmlichen Sinn. Er hatte kein Interesse am Studieren, und seit er vierzehn war, bastelte er in seinem Zimmer ständig mit Elektronik herum. Ich war der Vernünftige, Wissbegierige. Sein erster Computer war ein kleines Ding namens ZX Spectrum, aus dem er trotz aller Einschränkungen doch die erstaunlichsten Sachen herausholen konnte. Als er achtzehn war, wurde er dafür bezahlt, für alle möglichen Leute Programme zu schreiben, und hatte mit fünfundzwanzig seine erste Million verdient. Er hat ein millionenschweres Unternehmen für Internetsicherheit aufgebaut und es ein paar Monate bevor er starb verkauft.«
Tom verstummte und schaute Laura prüfend an, ob das alles womöglich zu viel für sie war. Doch sie schien ehrlich interessiert, die Ellbogen auf den Knien, das Kinn auf die verschränkten Hände gelegt.
»Er hat sein Geld, völlig untypisch für ihn, mit vollen Händen ausgegeben. Unter anderem hat er sich das schnellste Rennboot gegönnt, das es zu kaufen gab. Und das war’s. Ein Unfall, haben die Hersteller gesagt, ein wirklich ungewöhnliches Missgeschick. Er ist gestorben. Sein Leichnam wurde nie geborgen.«
Er sprach in nüchternem Ton, um seine Gefühle zu überspielen, konnte sich aber denken, dass Laura sich nichts vormachen ließ. Er hielt einen Moment inne, sie schwieg respektvoll.
»Jetzt wo ich stinkreich bin, will Kate wieder zu mir zurück. Wenn ich nicht zustimme, droht sie damit, mit Lucy wieder nach Manchester zu ziehen. Ich bin nur deshalb hierhergezogen, um nahe bei den beiden zu sein, und werde jetzt wieder in etwas hineinmanövriert. Das ist der Haken. Gebe ich für Lucy nach?« Tom sah Laura fragend an. »Sie wollen ja anscheinend gern dieses Opfer bringen – für ein Kind, das nicht einmal Ihr eigenes ist. Dann sollte ich es ja wohl fertigbringen, um Lucys willen mit Kate zusammenzuleben, oder?«
Tom beobachtete Laura genau, um ihre Reaktion abzuschätzen. Sie wartete einen Moment, bevor sie
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