Hintergangen
etwas sagte.
»Wissen Sie, Tom, ich bin eigentlich die Letzte, die Beziehungsratschläge geben sollte. Ich erinnere mich aber, wie ich als Kind in einem Haushalt aufgewachsen bin, wo ich beide Eltern geliebt habe. Das Problem war nur, dass die Eltern einander nicht geliebt haben. Nun, versucht haben sie es schon, und gemein zueinander waren sie auch nicht, obwohl es schon ein paarmal geknallt hat. Aber es war einfach keine Liebe da. Will und ich hatten ein stabiles Umfeld, aber ich würde es so zusammenfassen: Es war ein Haus ohne jede Freude. Ich glaube, Kinder brauchen diese Freude in ihrem Leben. Wenn sie in einer Welt leben, wo sie ständig dabei zuschauen, wie ihre Eltern einander umschleichen – auch wenn sie nicht streiten –, dann bekommen sie falsche Werte vermittelt. Rückblickend betrachtet hätte ich lieber bei einem Elternteil gelebt, der wirklich glücklich war, als mit zweien, die so viele Hühnchen miteinander zu rupfen hatten, dass es einen ganzen Hühnerhof gebraucht hätte.«
Tom fand die Beschreibung sehr einfühlsam. Aufgewachsen in einem glücklichen Arbeiterhaushalt mit zwei Eltern, die hart arbeiteten, sich aber gegenseitig mehr zum Lachen brachten als zum Weinen, nach so einer Art von Beziehung gesehnt hatte er sich immer.
Dieses Gespräch hatte aber schon zu lange gedauert. Er hatte keine Zeit, auf seinen eigenen Problemen herumzureiten. Die Zeiten, in denen Kate sich in seine Gedanken gedrängt hatte, sollten längst vorbei sein. In den letzten fünf Minuten hatte er herzlich wenig Ermittlungsarbeit geleistet. Er versuchte sich zusammenzureißen.
»Verzeihung, aber wir sind ja nicht hier, um über mich zu reden. Ich entschuldige mich, Laura. Ich hätte meine persönlichen Probleme wirklich beiseitelassen sollen.«
L aura bedauerte, dass der besondere Augenblick vorbei war. Tom zuzuhören hatte sie daran erinnert, dass andere Menschen ebenfalls Probleme hatten, wenn auch vielleicht nicht von der gleichen Tragweite. Als er angefangen hatte, über seine Exfrau zu reden, hatte es ihr kurz einen Stich versetzt, und sie war neidisch gewesen, hatte sich vorgestellt, wie es wäre, mit diesem etwas ruppigen, aber zweifellos einfühlsamen Mann verheiratet zu sein. Doch inzwischen war er wieder der Polizist, und sie musste sich konzentrieren.
»Es gibt da eine Reihe von Dingen, über die ich mit Ihnen reden muss, Laura, aber nach der Testamentsverlesung bin ich mir nicht sicher, ob Sie dazu in der Lage sind. Wie fühlen Sie sich?«
»Absolut in Ordnung. Fragen Sie nur.« Laura wusste, dass sie sich besinnen und aufhören musste, die mitfühlende Freundin zu sein, um stattdessen zur Rolle der trauernden Witwe zurückzukehren. »Ich mache jetzt eine Flasche Wein auf. Die habe ich mir verdient, finde ich – in der Annahme natürlich, Seine Lordschaft hat verfügt, dass ich noch Wein trinken darf.«
Laura ging, während Tom sein Notizbuch durchblätterte. Die Fragen waren unvermeidlich. Sie war sicher, dass Tom nicht verstand, wieso Hugos Testament sie so kaltgelassen hatte. Wie konnte sie erklären, dass sie schon mit Hugos harten Verfügungen gerechnet hatte, ohne vor Tom noch schwächer dazustehen.
Sie kam mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern wieder und schenkte ein. Dann reichte sie Tom ein Glas und gab einen kurzen, leicht ironischen Toast auf Hugo aus. Es entging ihr nicht, dass Tom nur kurz nippte, und sie verspürte einen Anflug von Reue.
»Verzeihung, Tom, wie gedankenlos von mir. Ich habe ganz vergessen, dass Sie ja im Dienst sind.«
Tom lächelte sie gutmütig an.
»Keine Sorge. Ich konnte Sie ja schlecht alleine trinken lassen, oder?«
In stummem, gegenseitigem Einvernehmen setzten sie sich wieder hin, und Laura wappnete sich für die Fragen.
»Was können Sie mir über Hugos Familie sagen, Laura? Wir wissen, dass seine Mutter, in dem Jahr, bevor Sie geheiratet haben, gestorben ist. Aber was wissen Sie von den Fletchers als Familie?«
Was für eine seltsame Frage, dachte Laura. Was dachte Tom wohl, welche Bedeutung das für Hugos Ermordung haben könnte? Sie antwortete so schlicht wie möglich.
»Eigentlich nicht sehr viel. Dieses Haus ist voll von Porträts längst vergessener Ahnen, über seine Eltern habe ich aber nie viel erfahren. Er stand seiner Mutter sehr nahe, das weiß ich, obwohl er mir nie Bilder von ihr zeigen wollte. Kurz bevor wir uns kennengelernt haben, ist sie an Krebs gestorben, und ich glaube, am Ende war es sehr schlimm. Sie ist schon ein paar
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