Hintergangen
mir wegknicken. Während ich auf Hugo gewartet habe, haben sich meine Wut und mein Abscheu noch weiter gesteigert. Du musst dir vorstellen: Jahrelang hatte Hugo mich jeden meiner Gedanken infrage stellen lassen. Doch endlich einmal – dieses eine Mal – wusste ich, dass ich recht hatte. Ich habe überlegt wegzugehen – aber ich konnte nicht. Nicht in jener Nacht. In jener Nacht hatte ich eine Aufgabe zu erledigen. Weil an Schlaf nicht mehr zu denken war, habe ich mich rasch angezogen.
Ich wollte Hugo als das entlarven, was er war. Und das wusste er genau.
Endlich hat er die Tür zu meinem Zimmer aufgerissen, mittlerweile angekleidet. Sein Auftritt machte schnell klar, dass ich weder Ausreden noch Entschuldigungen erwarten konnte. Hätte ich mir eigentlich auch denken können.
»Was soll denn das eigentlich, Laura, einfach so ungebeten hereinzuplatzen? Das werde ich nicht tolerieren.«
Ich war außer mir und nicht gewillt, einen Rückzieher zu machen. Ich bin auf ihn zugegangen, bis ich ganz dicht vor ihm gestanden habe. Ich wollte ihm in seine erbärmliche Fresse schlagen, ihn mit einem Messer aufschlitzen … aber alles, was ich hatte, waren meine Worte.
»Das war das Ekelhafteste, Abstoßendste, was ich je gesehen habe. Was bist du für ein kranker Dreckskerl, Hugo Fletcher. Ich weiß ja, dass du ein ernsthaftes Problem mit Sex hast, aber was du da getan hast … mir fehlen die Worte.«
Daraufhin habe ich ihm den Rücken zugekehrt. Ich war verärgert über mich selbst, weil ich für mein Entsetzen keine adäquaten Worte gefunden habe. Doch dann hatte ich mich doch noch einmal umgedreht.
»Nein, die fehlen mir nicht: pervers , das ist es. Du ekelst mich an.«
Es hat nicht viel gefehlt, und ich hätte ihn dabei angespuckt.
Er kam auf mich zu. Wenn er die Hände nicht in den Hosentaschen gehabt hätte, um möglichst locker und beherrscht zu wirken, hätte ich befürchtet, er würde mich vielleicht schlagen, zum ersten Mal überhaupt. Doch das war mir egal. Ich hätte zurückgeschlagen.
Aber seine Reaktion hat mich überrascht, obwohl ich natürlich über seinen Mangel an Reue nicht hätte verwundert sein sollen.
»Was soll das heißen, ich hätte ein Problem mit Sex, du blöde Vorstadtschlampe? Du bist ja frigide! Du kannst dich nicht entspannen und weißt nicht, was Männer mögen. Und weißt du auch, warum? Weil man es dich nie richtig gelehrt hat. Ich kann mir vorstellen, wie du das erste Mal Sex mit einem Jungen aus der Schule hattest – wahrscheinlich mit sechzehn. Ja, so wird es gewesen sein. Ihr habt beide herumgefummelt, und es hat überhaupt nicht geklappt, aber du hast einfach weitergemacht. Und als Erwachsene hast du dich dann an Sex gewöhnt, die Kunst aber nie richtig verstanden. Ohne mich hättest du den Rest deines Lebens so getan, als würdest du dich in Liebesdingen auskennen, aber du hast nicht den leisesten Schimmer. Umarmungen, Küsse und unbeholfenes Rumgrapschen, sonst nichts.«
Ich habe ihm direkt in sein arrogantes Gesicht gelacht. Den selbstgefälligen Blick würde ich ihm schon austreiben.
»Glaubst du ehrlich, es interessiert mich, was du von meiner Leistung im Bett hältst, Hugo? Nach dem, was ich gerade gesehen habe? Gott sei Dank muss ich nie wieder Theater spielen. Und weißt du was, Sir Hugo? Niemand kommt mehr an dich ran, nicht mal von Weitem. Du wirst dieses Zimmer heute Nacht nicht mehr betreten, ich werde telefonieren und alles in meiner Macht Stehende tun, um dafür zu sorgen, dass du dafür zur Hölle fährst, Hugo – also …«
Meine Erinnerung an die folgenden Ereignisse ist verschwommen. Ich weiß noch, dass Hugo auf mich zugekommen ist und mich am Arm gepackt hat. Dann hat er etwas aus der Hosentasche gezogen. Es war eine Spritze.
Als ich wieder zu mir gekommen bin, habe ich mich schrecklich gefühlt. Meine Augen waren verklebt, und mein ganzer Körper tat weh. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, und wusste auch nicht, wo ich war. Ich kannte den Raum nicht, keine Möbel, kein Teppich. Fußboden und Fenster waren mit altem Staub verschmutzt. Ich hatte nicht die Kraft aufzustehen, habe mich völlig ausgelaugt gefühlt. Erst nach ein paar Minuten habe ich bemerkt, dass ich nackt war.
Zunächst konnte ich mich nur vage an das Geschehene erinnern, aber das hat bereits gereicht, um zu erkennen, dass es schiefgegangen war. Und dann habe ich geweint. Tiefe, durchdringende Schluchzer haben meinen Körper geschüttelt, denn mir ist klar
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