Hintergangen
Hause konnten, sorgte der Verein für die notwendige elterliche Erlaubnis – ich bin mir nicht sicher, welche subtilen Drohungen da ausgesprochen wurden, wenn die Eltern Schwierigkeiten machten. Dann hat der Verein für die Mädchen Familien gesucht, bei denen sie leben konnten, und auch Jobs – als Haushaltshilfen oder in Cafés und Hotels. Dadurch hatten sie Zeit, wieder auf die Beine zu kommen, und die Familien, die sie aufgenommen haben, erhielten ebenfalls finanzielle Hilfen. Im Lauf der letzten paar Jahre hat sich die Arbeit der Stiftung allerdings zu etwas viel Größerem entwickelt, als es damals war, als Hugo mir zum ersten Mal davon erzählt hat. Bestimmt wissen Sie Bescheid über die enorme Zunahme an Prostitution in Osteuropa?«
Tom nickte. Einiges hatte er aus den Nachforschungen erfahren, die seine Mitarbeiter durchgeführt hatten, er wollte es aber auch gern von Laura hören.
Als sie anfing zu sprechen, fiel ihm auf, dass die gleichgültige Haltung einer unverfälschten Begeisterung Platz gemacht hatte, als läge ihr das Schicksal dieser Mädchen wirklich am Herzen.
»Als ich Hugo kennenlernte, war ich tief beeindruckt von der Arbeit seiner Stiftung – Mädchen zu helfen, die offenbar sonst nirgends hinkonnten. Diese Mädchen hatten aber vergleichsweise Glück. Sie konnten die Sprache und waren in ihrem eigenen Land. Die Mädchen, denen die Stiftung heute hilft, werden oft gegen ihren Willen nach England gebracht oder aber unter den fälschlichen Versprechungen, dass sie als Kellnerinnen oder Zimmermädchen hier arbeiten können. In manchen Fällen glauben sie, sie hätten einen Vertrag als Fotomodell gewonnen – und sind voller Hoffnung und Vorfreude. Dann stellt sich natürlich heraus, dass das Leben, so wie sie es kannten, zu Ende ist. Sie werden eingeschmuggelt und in die Prostitution ›verkauft‹. Der Preis eines Mädchens kann bis zu achttausend Pfund betragen, ein beträchtlicher Profit für die Mädchenhändler. Allerdings können sie den Banden, die sie kaufen, bis zu achthundert Pfund pro Tag einbringen. Sie müssen vielleicht mit zwölf, fünfzehn, zwanzig Männern Sex haben – jeden Tag. Fliehen ist praktisch unmöglich. Theoretisch können sie sich zwar freikaufen, es gibt aber keine Hoffnung, das Geld zusammenzubekommen. Das meiste, wenn nicht alles, was sie einnehmen, wird ihnen weggenommen. Normalerweise sind sie illegal hier, wie sollten sie also nach Hause können, selbst wenn sie das Geld zusammenbekämen? Wenn es ihnen gelingt, von dort, wo sie festgehalten werden, wegzulaufen und sich bei der Polizei zu melden, müssen sie sich um ihre Sicherheit sorgen, und viele von ihnen wollen auch nicht in das Leben zurückgeschickt werden, dem sie entkommen zu sein glaubten. Sie haben Angst vor der Vergeltung der ursprünglichen Schlepper und müssten auch mit der Scham darüber leben, was ihnen passiert ist. Eine wirklich schreckliche Situation.«
»Wie hat die Stiftung dann geholfen?«, wollte Becky wissen.
»Hugo hat ein Team von Mitarbeitern, die die Mädchen gesucht haben. Ich nehme an, die haben sich als Freier ausgegeben und versucht, die Mädchen zu überreden, zur Polizei zu gehen. Allerdings unter der Voraussetzung, dass sie sich dahin zurückschicken ließen, wo sie hergekommen sind, was bei vielen nicht der Fall war. Wenn das also nicht funktioniert hat, haben sie den Mädchen angeboten, eine sichere Umgebung für sie zu finden, und sie oft auch von den Zuhältern zurückgekauft – zu exorbitanten Beträgen. Damit hatte ich ein Problem, weil ich der Meinung war, dass es bloß dazu geführt hat, dass die hingingen und noch mehr Mädchen gekauft haben. Aber Hugo hat gemeint, das würde ich nicht verstehen.«
»Wie vielen Mädchen hat die Stiftung denn ungefähr geholfen?«, fragte Tom.
»Oh, nicht so vielen, wie sie gern wollten. Nur etwa hundert bis hundertfünfzig pro Jahr. Was eben geleistet werden konnte mit Spendenmitteln, und Hugo hat die Einnahmen natürlich durch seinen Treuhandfonds ergänzt.«
In dem Moment steckte ein Polizist den Kopf zur Tür herein. »Sir, Sie werden zu Ihrem Acht-Uhr-Termin erwartet.«
Tom empfahl sich, bedankte sich noch einmal bei Laura dafür, dass sie so früh am Morgen hergekommen war, und versprach, so bald wie möglich nach Oxfordshire zu fahren. Während er damit beschäftigt war, vor dem Hinausgehen noch einige Papiere zusammenzusuchen, machte Becky mit der Befragung weiter. Er merkte, dass sie von der Vision, die Laura
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