Hintergangen
erfuhr, dass sie sich eingehend nach möglichen Geliebten erkundigen sollte, verflossenen und aktuellen.
»Soll ich mit ihnen zusammen sprechen oder getrennt?«
»Was halten Sie für das Beste? Sie wissen besser, wie Frauen ticken. Ihr seid mir, ehrlich gesagt, alle miteinander ein unergründliches Rätsel«, sagte Tom.
Becky musterte ihn verstohlen, um zu sehen, ob er Witze machte, doch sein Gesicht war ausdruckslos.
»Kommt auf das Verhältnis der beiden untereinander an. Wenn sie sich gut verstehen, spornen sie sich gegenseitig an und sagen Dinge, die sie allein vielleicht nicht sagen würden. Wenn sie sich nicht gut verstehen, sind sie in Gegenwart der anderen reservierter. Ich würde die Situation gern erst mal abchecken. Vielleicht ganz allgemein drüber reden, wie die Arbeit im Büro abläuft, wer was macht, und mich dann entscheiden. Ist das okay?«
»Klingt gut. Hier wären wir, Becky. Schauen wir, dass wir in einer Stunde hier wieder weg sind.«
B ecky konnte Jessica Armstrong nicht leiden. Warum, wusste sie auch nicht, denn sie war äußerst freundlich, und außerdem duftete es äußerst appetitlich, als Becky das Büro betrat.
»Ich weiß ja, wie beschäftigt Sie als Polizisten sind«, sagte Jessica, »und war mir nicht sicher, ob Sie schon Zeit zum Frühstücken hatten. Also habe ich eine kleine Auswahl an Gebäckstücken mitgebracht. Ich organisiere Ihnen auch gern einen Kaffee – Espresso, Cappuccino oder gefilterten, was Sie möchten. Oder Tee natürlich.«
Becky war schwer beeindruckt und begriff, wie jemand wie Jessica die persönliche Assistentin eines so bedeutenden Mannes werden konnte. Während sie ganz locker mit ihr und ihrer Kollegin Rosie plauderte und dabei ihr zweites Gebäckstück vertilgte, sprach sie Jessica ihren Dank für diese Aufmerksamkeit aus. Die Antwort kam ihr eher vor wie eine Minilektion.
»Die Kunst einer guten PA besteht darin, die Bedürfnisse der Leute vorauszusehen und zu handeln, bevor man darum gebeten wird. Man muss schon im Voraus erahnen, was passiert, und vorbereitet sein. Deshalb fand Sir Hugo mich auch unersetzlich.«
Diese Aussage charakterisierte Jessica zwar als unheimlich selbstgefällig, doch Becky wusste die Annehmlichkeit dieser Einstellung zu schätzen, immerhin war sie nicht mehr hungrig.
Nach der Plauderei beim Kaffee beschloss sie, mit den beiden Damen getrennt zu sprechen. Oberflächlich schienen sie gut miteinander auszukommen, doch war es ziemlich offensichtlich, dass Jessica Rosie als ihre Untergebene betrachtete und sie für ein wenig dumm hielt. Rosie hatte seit etwa fünf Jahren für Sir Hugo gearbeitet, aber Jessica war schon über zwölf Jahre bei ihm gewesen, hielt sich also in jeder Hinsicht für überlegen. Komischerweise war es aber Rosie, die vom Weinen ganz rote Augen hatte, während Jessica vollkommen ungerührt schien. Um die PA auf ihre Seite zu ziehen, begab sich Becky zunächst mit ihr in ein separates Büro.
»Ich will eigentlich bloß ein paar Hintergründe erfahren, Jessica, um so viel wie möglich zu verstehen über Sir Hugo, sein Leben und seine Arbeit. Ich bin sicher, Sie standen ihm nach all den Jahren sehr nahe, und hoffe, Sie können mir etwas Einblick geben. Vielleicht erzählen Sie mir zunächst, was Sie hier tun und wie Sie mit Sir Hugo zusammengearbeitet haben.«
»Vorab muss ich sagen, dass Sir Hugo ein wahrhaft außergewöhnlicher Mensch war. Er war in jeder Hinsicht einmalig, und es fällt mir schwer, mir ein Leben ohne ihn vorzustellen. Sie denken sicher, dass mein Mangel an äußerlichen Gefühlsbekundungen auf fehlende Trauer hindeutet, diese Annahme ist aber falsch. Das hat alles mit Kinderstube zu tun, Sergeant. Ich wurde dazu erzogen, mein Herz nicht auf der Zunge zu tragen. Sie werden mich also nicht weinen sehen. So etwas tun wir nicht.«
Schade!, dachte Becky. Ihr fehlten die Worte. Sie konnte aber unbesorgt sein, denn Jessica war voll in Fahrt.
»Die persönliche Assistentin eines so bedeutenden Mannes wie Sir Hugo hat zahlreiche Rollen zu erfüllen. Ich spreche mich in Sir Hugos Auftrag mit Brian Smedley von der Immobilienfirma ab, was mich aber nicht vollständig auslastet, da der Großteil dieser Arbeit von der Zentrale aus stattfindet. Meine Hauptaufgabe besteht darin, Sir Hugo bei den täglichen Abläufen für die Stiftung zu unterstützen. Wenn wir Zuschriften auf die Anzeigen bekommen, in denen ein Zuhause für die Mädchen gesucht wird, dann führe ich die erste Begutachtung durch.
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