Hinterland
erzählt hatte, ja von seinem Meister verboten worden. Und endlich lachte Antonin auf, Aneschka und der braunäugige
Deutsche zuckten zusammen, und da sagte der Komponist: Ich habe einen guten Einfall, mein nächstes Lied handelt von der Fahrt
eines Mannes in einem sowjetischen Auto, er wird in diesem Lied einen Mechaniker anrufen, weil sein Auto kaputtgeht, und der
Mechaniker wird ihm durchs Telefon brüllen: Das Blech von gestern kümmert mich wenig.
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Die weichgekochten Knoblauchzehen in der Linsensuppe trieben zum Tellerrand, kaum daß man den Holzlöffel hineintauchte, und
die Wirtin des ›Gasthaus zu Herrn Hans‹ bat sie alle, das Krächzen des Papageien zu überhören, er hätte es gelernt, durch
die Gitterstäbe seines Käfigs zu spähen und eine furchtbare Fanfare zu krähen, wann immer ein weißer Viertelmond im grünbraunen
Brei aufschien. Tatsächlich stimmte jetzt der Vogel, im Augenblick seines halbvollkommenen Glücks, eine Melodie aus Hacklauten
an, denn in vielen Tellern wurden die Knoblauchzehen hochgerührt, und er krallte sich fest und fächerte die Flügel leicht
auf, dann sauste sein Körper nach unten, seine Kopfhaubenfedern streiftenMaiskörner und Kürbiskerne, und er verlor eine Schwanzfeder, die seinen Schnabelhöcker kitzelte.
Dieser Anblick ließ Pepa sofort die Bitte der Wirtin vergessen: Er krümmte seinen Finger zu einem Haken, tauchte ihn in die
Suppe, und als er dem Vogel die auf der Kuppe ruhenden Viertelmonde darreichte, schnappte er sich die Delikatesse, und seine
kleine Zunge berührte kurz Pepas Finger. Ein Glück. Sonst täuschte Pepa Versonnenheit durch mahlende Kiefer vor, auf der Bühne
wie nach dem Auftritt, sonst kaute er ununterbrochen trocken, und es hatte viele Wetten unter den anderen Musikern gegeben,
bis der alte Tenorbaßsaxophonist vor einem Konzert Pepa die Kiefer auseinandergerissen und wie irre in die leere Mundhöhle
gestarrt hatte: kein Kaugummi.
Aber jetzt ein Glück. Ein Glück, daß der kopfüber hängende und schnalzende Papagei plötzlich verstummte. Ein Glück, daß Pepa,
der sagenhafte Jazzgitarrist, als der er für einige wenige Jahre gegolten hatte, nun endlich das elende Kauen einstellte,
um schweigend die weißen Lider dieses Vogels zu betrachten, und weil beide, das kleine Tier und der mürbe Mann, das Blinzeln
vergaßen beim Melodienmachen, glaubte Ferda an ein Blickduell. Ich werde nach Bukarest, nein falsch, nach Budapest fahren,
dachte er, ich werde mich dort wie ein Neuankömmling benehmen … Nachdem er sich zwei Male versprochen hatte, nannte man ihn
in dieser Runde abwechselnd ›der Bukarester‹ oder ›Pane Jane‹, Herr Hans. Alle acht Musiker waren vom Bier und vom selbstgebrannten
Schnaps betrunken, sie musterten ihn heimlich, ihr Blick ging von ihm, dem Liebhaber des hübschen Kindes, zum Papageiengaffer,
dessen Kopf nun in eine Wolke aus Fliegen ragte, eine Wolke aus trägen Fliegen, die sich nicht fortwehen ließen, die helle
schwere Soße auf dem Lendenbraten war geronnen, er hatte sein Essen kaum angerührt, was scherte es ihn, ob die Grillen heute
zirpten und morgen vom Ästchen fielen,was gingen ihn die halbwilden Dorfköter an, die man darauf dressierte, jeden Fremden im Vorgarten zu verbellen, was kümmerte
ihn der Trompeter, der in einer Plattenbauwohnung lebte, und wann immer er üben wollte, schlich er sich aufs Feld, blies und
blies inmitten der wogenden Ähren, zum Teufel mit ihm, was sprachen die Musiker für einen Blödsinn daher, und da Pepa in dieser
Zorneslitanei verging, senkte sich sein Kinn langsam auf die Brust. Davor hatte er den schwanzzerrupften Papagei von einem
Moment zum anderen vergessen und ein einziges Mal geblinzelt – der Kontrabassist betrachtete ihn und erklärte Ferda, daß der
leise schnaufende Pepa das Stadium ›Sterbender Büffel‹ durchlief, sein Oberkörper neigte sich gefährlich nahe dem Tisch entgegen,
und da – er fing sich gerade noch und richtete sich wieder auf –, er gäbe Pepa nicht mehr als fünf Minuten, dann würde seine
Stirn das Tischresopal küssen. Manche Männer schliefen in dieser Haltung tief und fest, der Gitarrist jedoch erreichte immer
das dritte Stadium, das da hieße ›Betonhund‹, Pepa würde bald einen entsetzlichen Schnarchlaut ausstoßen, wie von fremder
Hand gegen die harte Banklehne geschleudert werden und erstarren. Tatsächlich schlief Pepa bald tief und fest, und daß die
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