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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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wird dich
     als Gegner nicht ernst nehmen. Doch, sagte ich, ich werde jetzt anfangen, laut Deutsch zu sprechen, und dann schrie ich gegen
     mein Herzklopfen an: Achtung, ich komme runter, wer immer du bist, du hast hier nichts zu suchen, wer in fremde Häuser eindringt,
     führt Böses im Schilde, es ist mir völlig gleich, ob du nur neugierig bist oder ob du den Fernseher und die Musikanlage, den
     Teppich und das Besteck rausträgst, die Wertgegenstände bleiben hier, verdammt noch mal …
    Aneschka faßte mich am Arm und zog die Tür auf, langsam, ganz langsam bewegte ich mich hinaus und hielt mich am Treppengeländer
     fest, ich umgriff die Krücke mit der linken Hand, und als ich unten einen halben Haarschopf erblickte, warf ich, ohne zu überlegen,
     den Krückstock auf das Haupt des Einbrechers, ich schrie mich heiser und verstummte sofort, da der wütende Komponist auf der
     zweiten Stufe der Wendeltreppe auftauchte, er und Aneschka unterhielten sich auf tschechisch, er setzte sich auf die Treppenstufe
     und begann, hicksend zu lachen, und Aneschka sagte: Mein Vater konnte gerade noch zur Seite treten, sonst hätte die herabsausende
     Krücke ihn aufgespießt. Er übertreibt. Er hält dich für einen abgerichteten Schäferhund, er gratuliert dir, weil du dich nicht
     hinter mir versteckt hast. Ich habe ihm gesagt, daß er uns große Angst eingejagt hat, er glaubt, ich übertreibe. Hattest du
     denn keine Angst?
    Am liebsten hätte ich mich hingelegt und so lange die Augen geschlossen, bis der Schmerz in meinem gebrochenen Fuß und in
     meiner Brust verklungen wäre, aber ich schüttelte den Kopf und ließ mich auf der Stufe nieder, Aneschka setzte sich neben
     mich, und wir sprachen über die Dörfer mit den unaussprechlichen Namen, durch die der Komponist gefahren war, auf dem Weg
     zu der Souffleuse, und in diesen Augenblicken hatte er an die lichtscheue Edita denken müssen, Edita-die-das-Dorfleben-haßt,
     die äußerst disziplinierte Edita, Edita-die-von-der-Angst-befallene-Gipsbüstensammlerin, und immer weitere Namen hätte sich
     der Komponist einfallen lassen, und kurz vor Šebrov wäre er zu der Entscheidung gelangt, daß er zu dieser Stunde kein neues
     Liebesverhältnis anfangen dürfe. (Was denken die Frauen, wenn sie nachts im Bett liegen, allein und abgeschminkt? Oder abgeschminkt
     und neben einem Freund oder Ehemann oder Geliebten? Das Bett ist groß genug, daß eine Frau ihren Gedanken nachhängen kann,
     vielleicht wackelt sie dabei mit den Zehen unddreht Locken in ihr Haar, beides gleichzeitig. Die Souffleuse Ivana und die verschwundene Vilma: In diesem Augenblick, da
     dem Komponisten die Idee kommt, ein Klavierstück über hellwache Frauen im Bett zu komponieren, sind sie sehr müde – Ivana
     wollte bei den ersten Treffen mit einem Musiker versuchen, herauszuklettern aus der Zelle unter der Muschelschale. Und Vilma
     hat sich heimlich in das Theater am Geländer eingeschlichen, den Trittstuhl nach langer Suche in der Requisitenkammer gefunden
     und ihn auf den Beifahrersitz gestellt, mit einer bunten Patchworkdecke bedeckt und sogar angegurtet. Ivana macht einen langen
     Spaziergang, Vilma fährt durch die Straßen der Außenbezirke Prags, es wird noch lange dauern, bis beide Frauen wieder zurückkehren.
     Sie sind sehr müde, doch sie denken an alles andere als an Schlaf.)
     
    Später hatten wir uns alle beruhigt. Später saß ich ausgestreckt auf dem Rücksitz des alten Autos, das Aneschka fuhr, ihr
     Vater drückte die glühende Drahtspirale des Anzünders an das Zigarettenende, und nach dem zweiten tiefen Lungenzug erklärte
     er mir auf englisch, daß wir bald von der Karlsbrücke aus auf die Bilder einer Ausstellung schauen würden, die Originale hingen
     in der Prager Burg, und der Fotograf mit dem Namen Jacub hätte sich mit dem Designer Libor zusammengetan. Die Schwarzweißfotos
     werden nicht einfach auf eine verwitterte Kaimauer projiziert, sagte er, Libor hat an einer ufernahen Stelle des Flusses eine
     heiße Quelle tief im Wasser installiert, sie verkocht das Wasser zu einem Sprühregennebel, und die Bilder werden auf diese
     Leinwand projiziert, ich bin gespannt. Später stellten wir uns zwischen zwei Steinstatuen der Karlsbrücke, später waren wir
     alle verblüfft, weil sich nicht viele Menschen zur Schau der Bilder eingefunden hatten, der Komponist klappte sein Mobiltelefon
     auf und sprach mit Jacub, er ging voran, ich humpelte hinterher,Aneschka stieß leere

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