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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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trutzigen, steinernen Burg.
    »Oh, großartig«, murmelte Henry. »Jetzt hat Gott Gelegenheit, mich zurechtzustutzen.« Es klang tatsächlich eine Spur kleinlaut. »Wenn der Burgherr auf König Stephens Seite steht, ist meine Reise hier zu Ende.«
    Losian sah ihn an. »Wir haben keine Wahl, Henry. Wenn wir dort nicht um Obdach bitten, ist die Reise für uns alle zu Ende.«
    Das hölzerne Torhaus war unbemannt, die Zugbrücke über den bewässerten Graben heruntergelassen. Leichtsinnig in solch kriegerischen Zeiten, hatte Henry bemerkt.
    Losian war indessen dankbar, dass sie keine Torwachen antrafen, an deren Mildtätigkeit er hätte appellieren müssen. Er führte die Gemeinschaft über die Brücke in einen menschenleeren Innenhof. Eines der ersten der hölzernen Gebäude, die sie passierten, war ein Pferdestall.
    »Geht hinein und wartet«, beschied Losian. »Du kommst mit mir, Simon. Wenn du so gut sein willst«, fügte er hastig hinzu.
    »Gewiss, Losian.« Der junge Normanne sah sich neugierig um. »Das ist eine hervorragende Anlage«, raunte er.
    King Edmund führte eine erleichterte Schar in die schwere Wärme des Pferdestalls. Nur Henry zögerte und sah Losian und Simon einen Moment nach, folgte dann aber den anderen.
    »Wieso ist hier nirgendwo jemand?«, fragte Simon verwundert. »Wo mögen sie alle sein?«
    »Keine Ahnung«, erwiderte Losian grimmig. Ihm schwante nichts Gutes. Vermutlich waren Kaiserin Mauds Truppen hier eingefallen und hatten die ganze Stephen-treue Besatzung der Burg niedergemetzelt. Oder umgekehrt.
    »Jesus, Maria und Joseph, sieh dir diesen Turm an, Losian!« Simon war tief beeindruckt.
    »Gehen wir hinauf.«
    Am Westende der von einem Palisadenzaun umfriedeten Anlage erhob sich eine steile Motte, wie die meisten normannischen Burgen sie hatten. Aber auf der flachen Kuppe dieses aufgeschütteten Hügels stand kein hölzerner Burgturm, sondern eine steinerne Festung: ein Donjon modernster Bauart, den man aufgrund des hellen Sandsteins und der schlanken Ecktürme kaum anders als schön nennen konnte.
    Ein von einem Holzdach beschirmter Aufgang führte hügelan zu einem zweiten Palisadenzaun, dessen Tor ebenfalls offen und unbewacht war, dann eine steinerne Treppe hinauf zum Portal. Losian und Simon stiegen eilig die gleichmäßig gehauenen Stufen empor.
    »Langsam krieg ich das Grausen, Losian«, murmelte Simon. »Ich wette, wir werden in der Halle einen Leichenberg finden.«
    »Gut möglich.«
    Aber kein Mensch war in der Halle – weder tot noch lebendig. Im Kamin an der Stirnseite brannte ein einladendes Feuer, die langen Tische und Bänke waren indes verwaist. Nur ein uralter Hund, dessen trübe Augen darauf hindeuteten, dass er blind war, erhob sich gemächlich von seinem Platz vor dem Feuer, machte zwei Schritte auf sie zu, wedelte mit dem Schwanz und gähnte herzhaft.
    »Großartig«, bemerkte Simon nervös.
    Auch Losian war die leere Halle unheimlich. Er legte den Kopf schräg, wrang die Haare aus und schaute sich dabei um. Auf der hohen Tafel vor dem Kamin standen ein Krug und ein paar Becher, ein abgenagter Apfel lag daneben. In der rechten Ecke der Kaminwand befand sich ein Türdurchbruch, der zweifellos zur Treppe ins Obergeschoss führte. Losian zeigte in die Richtung. »Da entlang. Lass uns nachsehen, ob vielleicht oben jemand ist.«
    Ihre Schuhe raschelten im Bodenstroh, als sie die Halle durchquerten. Doch ehe sie die Tür erreichten, hörten sie leichte Schritte auf der Treppe, die ihnen entgegenkamen.
    Losian und Simon tauschten einen Blick und blieben stehen.
    Wer immer die Treppe herunterkam, er ging langsam. Es dauerte ein Weilchen, bis der Schein einer Fackel den schmalen Türdurchbruch erhellte, und kurz darauf erschien ein Rocksaum.
    Losian packte Simon am Ärmel, zog ihn zwei Schritte weiter zurück und sagte: »Vergebt uns, Madame. Bitte erschreckt nicht. Wir sind ungebeten eingedrungen, aber wir wollen Euch kein Leid zufügen.«
    »Das würde ich Euch auch nicht raten«, bekam er zur Antwort. Die Stimme gehörte unverkennbar einer alten Frau.
    Diese trat im nächsten Moment in die Halle – vollkommen unerschrocken, so schien es. Losian war von ihrer Fackel geblendet und konnte sie nicht richtig erkennen, aber er gewann den Eindruck von Größe und kerzengerader Haltung.
    »Was wünscht Ihr?«, fragte die alte Dame barsch. »Und wo ist meine Wache?«
    »Niemand war am Tor, Madame«, erklärte Losian, verneigte sich artig und trat unsicher einen Schritt näher,

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