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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Zeitvertreib aller Edelleute – Bereicherung ihrer Tafel ebenso wie Ausdruck ihrer privilegierten Stellung –, aber der Gedanke an das rituelle Blutvergießen hatte ihn abgestoßen.
    Er nutzte das scheußliche Wetter, um sich endlich dem Buch zu widmen, das seine Großmutter ihm am Tag nach seiner Ankunft hier gegeben hatte. Lies es, und du wirst verstehen, wer du bist …
    Also hatte er beschlossen, es zu versuchen. Er wusste, es würde keine Erleuchtung auslösen, aber er war dankbar für alles, was ihn von seinen endlos kreisenden Gedanken ablenkte. Er schlug es willkürlich auf und las: … sich mit dem Papst geeinigt hatte, kehrte König Henry im Sommer 1106 in die Normandie zurück . Er belagerte die Burg von Tinchebray, und als sein Bruder, Herzog Robert von der Normandie, mit seiner Armee dorthin kam, um die Belagerung aufzuheben, kam es zur Schlacht. Dort fiel Ælfric of Helmsby im Kampf für seinen König, als Herzog Robert bereits gefangen und die Schlacht fast vorüber war. So ging der Letzte der großen angelsächsischen Krieger dahin. Sein Bruder Wulfnoth brachte den Sarg heim, ritt weiter nach Ely und wurde Mönch, wie er es schon viel früher hätte tun sollen, denn das war seine Bestimmung …
    Es war ein seltsames Buch, stellte Alan fest. Eine Geschichte der Ereignisse in England vor und nach der Eroberung, wie der Titel versprach, aber manchmal auch eine Geschichte derer von Helmsby, und der Verfasser hatte mit seiner persönlichen Meinung nicht gegeizt. So war beispielsweise zu erfahren, dass er einen gewissen einarmigen Lucien de Ponthieu nicht sonderlich gemocht hatte, doch an der Stelle, wo er begann, die Missetaten dieses Lucien aufzuzählen, hatte jemand die Tinte abgeschmirgelt, wahrscheinlich mit einem Bimsstein. Haimon, vermutete Alan, denn dieser einarmige Lucien musste dessen Urgroßvater oder so etwas Ähnliches gewesen sein. Alan fuhr mit dem Finger über das Pergament und spürte, wie aufgeraut es war.
    Nun, ihm war es gleich; all diese Gestalten aus der Vergangenheit interessierten ihn nicht besonders, selbst wenn sie seine Ahnen sein mochten.
    Er blätterte weiter, bis er zum Jahr seiner Geburt kam. Die Handschrift hatte sich geändert. Einige Seiten zurück fand er den Eintrag, dass der Chronist, Leif Guthrumson, gestorben sei und sein Sohn Agmund die Geschichte nun fortführen wolle.
    Und mit dem Untergang kam großes Leid über den König und das ganze Land, denn nicht nur sein Erbe und sein Bastard Richard und seine Tochter ertranken, sondern auch die ganzen Würdenträger des prinzlichen Haushalts und seine Ritter, sodass es keine edle Familie im Lande gab, die keinen Verlust zu beklagen hatte. Und das Meer gab seine Toten nicht preis. Keiner der Verlorenen konnte beerdigt werden.
    In derselben Nacht gebar Adelisa of Helmsby einen Bastard und starb. Ihre Schwester Eloise, deren Gemahl mit dem White Ship untergegangen war, kam mit ihrem Sohn Haimon nach Helmsby, da dieser nun der Erbe war, und brachte den Bastard heimlich zu armen Torfstechern in den Fens. Doch da kam der König im Zorn über sie, denn das Waisenknäblein war sein Enkel, und er ließ sie in eine seiner Festungen sperren, bis sie das Versteck des Bastards preisgäbe. Drei Monate hielt sie aus, denn sie war ein halsstarriges Weib, und sie hoffte, der Bastard werde sterben. Doch Gott strafte sie für ihre Auflehnung gegen den König und holte zwei ihrer Kinder zu sich, während sie in Festungshaft war. Da zerbrach ihr Widerstand. Der König gab Helmsby seinem kleinen Bastardenkel zu Lehen und verheiratete Eloise mit einem Bretonen, den nicht einmal sie verdient hatte …
    »Jesus«, stieß Alan angewidert hervor. »Die pikanten Details hast du mir verschwiegen, Großmutter.«
    Vielleicht lag es daran, dass Alan of Helmsby ein Fremder für ihn war, jedenfalls bedauerte er seine unglückliche Tante. Langsam bekam er eine Ahnung davon, welches Ausmaß diese Schiffskatastrophe für die Betroffenen gehabt haben musste. Sowohl für seine Großmutter als auch für den König und diese Eloise war in jener Nacht die ganze Welt zerbrochen. Söhne, Töchter, Ehemänner, Geschwister – tot, einfach so, verschlungen von der See. Wo doch gerade der Krieg vorüber war und alle Pläne für eine bessere Zukunft schmiedeten. Und wie unbarmherzig diese Menschen einander für ihren Schmerz hatten büßen lassen. Es war wohl kein Wunder, dass sie gnadenlos gewesen waren. Gewiss, es war nicht besonders nett von seiner Tante gewesen,

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