Hiobs Brüder
Helmsby. Dann könnten wir die Kleine herholen. Sie würde Alan Freude machen und Mut geben, wenn er heimkommt. Zu seinem treulosen Weib.«
Simon verabscheute, was Henry und Susanna getan hatten, aber allmählich fing er an, die junge Frau zu bedauern. Sie bezahlte teuer für ihr Vergehen. Matilda zwang sie, an den Mahlzeiten in der Halle teilzunehmen, um sie dann öffentlich mit größtmöglicher Verachtung zu behandeln. Auch Haimon ließ keine Gelegenheit aus, bei Tisch Andeutungen und Bemerkungen über ihren Ehebruch fallen zu lassen. Wahrscheinlich tat er das, argwöhnte Simon, damit auch ja niemand in Helmsby vergaß, dass Susanna ihrem Gemahl Hörner aufgesetzt hatte, denn es erfüllte Haimon mit Schadenfreude. Was immer seine Gründe sein mochten − für Susanna war die hohe Tafel zum Pranger geworden.
»Vielleicht wäre es klüger, Ihr ließet sie in ein Kloster gehen, bis er heimkommt und entscheidet, wie es weitergehen soll«, regte Simon zaghaft an. »Ich weiß, dass sie das möchte.«
»Nun, ihre Wünsche sind hier nicht länger von Belang«, beschied Matilda. »Im Übrigen hat sie den Trost eines Klosters gar nicht nötig, denn sie hat sich eurem seltsamen Heiligen anvertraut und verbringt jeden Tag Stunden mit ihm in der Kirche.«
»King Edmund?«, fragte Simon verblüfft. Der Gedanke erleichterte ihn.
Lady Matilda nickte. »Ich hoffe, er ist so keusch, wie er tut.«
Norwich, Juni 1147
Alan hatte ein kleines Loch in der Bruchsteinmauer entdeckt, welche die besonders schutzbedürftigen Kräuterbeete vom restlichen Garten trennte. Er musste nur auf einen Vorsprung in der unteren Steinreihe steigen, um hindurchspähen zu können, und auf diese Art und Weise erhaschte er so manchen Blick auf das jüdische Leben, das wegen des sommerlichen Wetters zu nicht geringem Teil im Garten stattfand.
Manche der Gebräuche hatten ihn anfangs erschreckt. So fanden Ruben, Josua und dessen erwachsener Sohn David sich zum Beispiel jeden Morgen im Garten zum Gebet ein. Ehe sie begannen, legten sie sich gestreifte Tücher um die Schultern. Das ging ja noch. Aber dann holte jeder zwei seltsame kleine Schachteln hervor, von denen sie sich eine mit den herabbaumelnden Lederriemen vor die Stirn banden, die andere um den linken Unterarm. Dann fingen sie an, die Oberkörper vor- und zurückzuwiegen, und beteten. Es sah höchst sonderbar aus. Sie beteten lange und in tiefer Inbrunst, und das weckte jeden Morgen aufs Neue die Sehnsucht nach einer Kirche und dem Trost der heiligen Messe in Alan. Vor allem jedoch hätte er zu gerne gewusst, welchem Zweck die seltsamen Schachteln dienten. Aber natürlich konnte er Josua nicht fragen, ohne die Existenz seines Gucklochs zu verraten. Und das wollte er auf keinen Fall riskieren, denn es verging kein Tag, ohne dass er einen Blick auf Miriam erhaschte. Miriam mit einer Schüssel Erbsen auf der Bank oder bei der verbotenen Gartenarbeit, Miriam einsilbig im höflichen Gespräch mit ihrer Schwägerin oder übermütig mit ihrem kleinen Bruder. Aus der Ferne lernte er sie besser kennen, den Ausdruck auf ihrem Gesicht zu deuten, und die Geste, mit der sie sich das Kopftuch hinters Ohr steckte, wurde ihm vertraut.
Er wusste nicht, wie er die Tage und Nächte in Josuas Kräuterlager ohne diese heimlichen Freuden überstanden hätte, denn sie waren schwer und düster. Jeden Tag außer am Sabbat war Josua mit einem Becher zu ihm gekommen. Jeden Tag hatte er die Zusammensetzung des Tranks verändert. Doch der Besuch in der verwunschenen Oase verlief immer mit dem gleichen unbefriedigenden Ergebnis, und sie waren noch keinen Schritt weitergekommen.
Am zehnten Tag der Behandlung schließlich kam Josua ohne den Becher.
Alan wusste, was das hieß. Er hatte es kommen sehen, aber trotzdem musste er sich stählen, um die Frage zu stellen: »Wir geben auf?«
Wie so oft ließ der Arzt sich ihm gegenüber auf dem Boden nieder. Er sah ihm forschend ins Gesicht, ehe er antwortete. »Wir geben nicht auf. Aber so wie bisher können wir nicht weitermachen.«
»Warum nicht?«, fragte Alan. »Ihr habt gesagt, es braucht Zeit.«
»Ich weiß. Aber ich wage nicht, Euch länger meinen Trank zu geben. Er kann von großem Wert und Nutzen sein, aber seine Natur ist böse. Giftig, könnte man auch sagen. Ihr habt es ja am eigenen Leib gespürt. Und Ihr werdet von Tag zu Tag kränker.«
Alan winkte ungeduldig ab. »Unsinn. Nur Schwindel und Muskelkrämpfe, und nach ein paar Stunden ist alles vorbei. Ich fühle
Weitere Kostenlose Bücher