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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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versagt.
    Lustlos schob Alan sich einen Löffel in den Mund, kaute und schluckte. Dann schenkte er dem Inhalt der Schale seine ungeteilte Aufmerksamkeit und leerte sie mit Genuss. Kein Zweifel, die Juden verstanden sich auf gutes Essen. Sie hatten Speisegesetze, die unglaublich kompliziert waren und ihm teilweise völlig absurd erschienen, aber er musste zugeben, aus dem Wenigen, was sie essen durften, zauberten Miriam und ihre Schwägerin die schmackhaftesten Gerichte. Heute Abend zum Beispiel hatte er einen Eintopf aus Kohl und Lamm bekommen, gewürzt mit fremden, wohlschmeckenden und, so argwöhnte er, sündhaft teuren Gewürzen, die dem Mahl ein völlig unbekanntes Aroma verliehen, und dazu ein Stück Fladenbrot. Es wurde ohne Milch hergestellt, wusste er, denn Milch und Fleisch zusammen zu verzehren war aus irgendwelchen sonderbaren Gründen verboten, aber er liebte dieses Brot. Und heute war das letzte Mal, dass er es aß.
    Nachdem er sein Mahl vertilgt hatte, stieg er auf den Vorsprung in der Mauer und spähte durch sein geheimes Guckloch. Wie erwartet versammelte die Familie sich gerade erst zum Essen. Sie hatten einen langen Tisch mit Bänken auf den Rasen gestellt, und nachdem alle Schalen, Becher und Krüge aufgetragen waren, setzten auch Miriam, ihre Schwägerin Esther und die junge Magd sich an den Tisch. Die Unterhaltung verstummte, als Josua ein Stück Brot ergriff und ein Gebet sprach. Es war zu weit weg, als dass Alan ihn hätte verstehen können, und obendrein war es Hebräisch, aber er hatte herausbekommen, was es hieß: Gepriesen seiest du, o Herr, Schöpfer der Welt, der du uns Brot aus der Erde spendest .
    Der Hausherr wiederholte den Segen mit dem Wein. Dann begann die Familie zu essen. Alan beobachtete, wie Josua sich mit dem kleinen Moses unterhielt, Ruben mit Miriam und David und Esther verstohlene, verliebte Blicke tauschten. Eine unerwartet heftige Sehnsucht überkam ihn, dazuzugehören. Sie hatten ihre Sorgen und Streitereien wie andere auch, wusste er, aber dies waren gute Menschen. Eine starke Familie. Wenn es ihm nun nicht gelang, Alan of Helmsby zu sein, warum zum Henker konnte er dann kein Jude werden?
    Aber sogleich rief er sich zur Ordnung. Es war sinnlos, sich zu bemitleiden und nach Dingen zu sehnen, die nicht sein konnten. Es schadete nur, weil es einen Mann schwach machte. Josua hatte recht: Er musste weiterziehen und sich auf die Suche nach seinem verlorenen Selbst machen. Morgen bei Sonnenaufgang würde er gehen. Und gerade weil er wusste, dass es das letzte Mal war, blieb er auf seinem Lauerposten und beobachtete Josua und die Seinen ohne alle Scham, bis es dunkelte und die Tafel aufgehoben wurde.
    Das vertraute Knarren der Tür weckte ihn, und wie immer war Alan sofort hellwach. Aber er schreckte nicht hoch, die Hand am Dolch, noch ehe er die Augen ganz geöffnet hatte, wie er es in der Wildnis und auch in Helmsby getan hatte.
    Er schlug lediglich die Lider auf, und sein Blick fiel auf eine Gestalt im Türrahmen. Ein Strahl silbriges Mondlicht, der durchs Fenster des Behandlungsraumes schien, beleuchtete sie von hinten und zeigte sie als Schattenriss.
    »Woher hast du den Schlüssel?«, fragte er leise.
    Sie schien für einen Moment zu erstarren. »Du bist wach«, wisperte sie. Es klang eine Spur erschrocken.
    Langsam, um sie nicht zu verscheuchen, setzte er sich auf. »Komm trotzdem herein«, bat er.
    Miriam trat über die Schwelle. Lautlos zog sie die Tür hinter sich zu. »Ich habe meinem Vater den Schlüssel gestohlen«, bekannte sie unbehaglich. »Er hatte ihn ziemlich gut versteckt, aber Moses wusste, wo. Es gibt einfach kein Geheimnis, das vor Moses sicher ist.«
    Alan gab keinen Kommentar ab.
    Sie trat näher und blieb vor ihm stehen. »Ich wollte dich noch einmal sehen, ehe du fortgehst.«
    Er hatte kühl und distanziert sein wollen, denn er fürchtete sich davor, ihr noch einmal ins offene Messer zu laufen. Aber es erwies sich als unmöglich, als sie ihm plötzlich so nahe war. Mit einer blitzschnellen Bewegung ergriff er ihre Hand und drückte sie einen Augenblick an die Stirn. Die Hand war rau, filigran, warm und trocken. Und sie duftete nach Rosmarin – ein Geruch, der ihm ausnahmsweise bekannt war. Statt sie loszulassen, was eigentlich seine Absicht gewesen war, zog er Miriam zu sich herunter, bis sie neben ihm auf dem weichen Strohlager saß. Die Tür zum Kräutergarten stand offen, und auch wenn der volle Mond auf der Vorderseite des Hauses schien, machte

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