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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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wenn ihre Hände voller Ruß und ihre Münder breiverschmiert waren. Aber nach einem kurzen Zögern hob er das Mädchen auf, setzte es auf sein Knie, nahm es behutsam bei den Händen und ließ es reiten, so wie die Frauen in Woodknoll es immer mit ihren Kleinen taten. Und weil er ein bisschen verlegen war, fragte er: »Wie heißt du denn, hm?«
    »Agatha«, antwortete sie, und die gemurmelte Unterhaltung der Männer am Tisch brach abrupt ab.
    Die plötzliche Stille veranlasste Simon, aufzuschauen, und er sah in zwei Gesichter, deren Ausdruck des Erstaunens etwas Komisches hatte. Dem Schmied war gar die Kinnlade heruntergefallen.
    »Was?«, fragte Simon verständnislos.
    Guillaume fasste sich als Erster. »Sie … sie hat noch nie ein Wort gesprochen. Wir haben alle geglaubt, sie ist stumm.«
    Simon erfuhr die Geschichte, als sie in der Dämmerung nach Helmsby zurückritten.
    Sie hatten den lieben langen Tag geschuftet, mit krummem Rücken, ein Schaf zwischen den Knien, bis zu den Schultern in den warmen Vliesen, deren strengen Geruch man tagelang nicht aus der Nase und den Kleidern bekam, wie Simon wusste. Er war müde bis in die Knochen, aber er hatte den Tag genossen. Er war nicht so virtuos und auch nicht so großmäulig wie die besten unter den jungen Scherern von Metcombe gewesen, die sich gegenseitig mit ihrer Kraft und Ausdauer auszustechen versucht hatten, aber seine Tagesausbeute hatte ihn zufriedengestellt.
    »Ich weiß nicht, ob dir das irgendetwas bedeutet, aber du hast dir heute ein ganzes Dorf zu Freunden gemacht«, bemerkte Guillaume. »Du hast dich richtig ins Zeug gelegt. Das konnte man merken, und es hat ihnen imponiert.«
    »Freunde kann man nie genug haben, scheint mir«, erwiderte Simon lächelnd. »Warum sind die Leute von Metcombe schlecht auf Alan zu sprechen? Ist es wegen des Kindes?«
    Guillaume schüttelte den Kopf. »Du weißt also, dass es seins ist?«
    »Ich habe die Fallsucht, Guillaume, aber blind bin ich nicht. Sie ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten und hat seine Augen.«
    »Ja.« Der Steward seufzte leise. »Ich weiß. Du solltest nicht gar zu schlecht von ihm denken wegen der Sache. Er war nie einer von den Lords, die sich Freiheiten bei den Bauernmädchen herausnehmen. Aber wenn ihm eine schöne Augen gemacht hat – und das passierte nicht so selten –, hat er sie auch nicht gerade mit der Mistgabel abgewehrt, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Obwohl er verheiratet war?«, fragte Simon missfällig.
    Guillaume hob hilflos die Schultern und nickte. »Susanna hat beide Augen zugedrückt. Ich glaube, es hat ihr sogar irgendwie geschmeichelt, zumindest so lange, wie sie sich fest im Sattel wusste. Eanfled – Agathas Mutter – hat gemerkt, dass sie ein Kind von ihm bekam, kurz nachdem er verschwunden war. Da war’s aus mit Susannas Nachsicht. Weil sie selbst kein Kind hatte, nehm ich an. Mit einem Mal sah sie ihre Stellung bedroht. Sie ist zu mir gekommen und hat gesagt, ich hätte eine Woche Zeit, Eanfled aus Helmsby fortzuschaffen, sonst würde sie sie beim Bischof wegen Unzucht anzeigen. Also hab ich das Mädchen nach Metcombe gebracht, und alles wurde gut. Der Schmied und Eanfled fanden bald Gefallen aneinander, und die Sache mit dem Kind nahm er nicht so tragisch. Du hast ja gesehen, wie er an der Kleinen hängt. Kein Vater könnte besser zu seinem Kind sein.«
    »Und wieso hat sie nie gesprochen?«
    »Tja, Simon de Clare. Das kann ich dir auch nicht sagen. Hat Susanna die kleine Agatha verflucht? Haben die Feen ihr die Sprache gestohlen? Niemand weiß es. Das Verrückte ist nicht, dass sie stumm war, sondern dass sie plötzlich angefangen hat zu sprechen, als du sie auf den Schoß genommen hast.« Und Agatha hatte es nicht bei dem einen Wort belassen. Sie war erst zwei Jahre alt und begriff längst nicht alle Fragen, die die drei Männer ihr in ihrer Erregung gestellt hatten, aber ihr Verstand schien vollkommen in Ordnung zu sein, und sie hatte »Ja« und »Nein« geantwortet und auf Simons Erkundigung nach ihrem Lieblingstier den Namen »Billa« genannt, bei dem es sich um ein Kälbchen der Müllerfamilie nebenan handelte.
    Der Schmied war in Tränen ausgebrochen.
    »Die Sache ist mir selbst ein bisschen unheimlich«, gestand Simon. »Aber seit ich auf der Narreninsel war, sind so viele merkwürdige Dinge geschehen, dass ich mich über nichts mehr wundere.«
    Sie ritten eine Weile schweigend durch den klaren blauen Sommerabend.
    »Also?«, fragte Simon schließlich,

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