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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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seinem Mund steckte, und begann sich zu winden und zu wehren. Aber viel zu schwach, um irgendetwas auszurichten. Er hörte Regys leises Lachen, und er wusste, er bot wahrhaftig einen lächerlichen Anblick: saft- und kraftlos wie eine Strohpuppe.
    »Schsch. Nur die Ruhe, Bübchen«, murmelte Regy. »Ich tu dir nichts. Siehst du?« Er nahm Simon den seltsamen Knebel aus dem Mund, und erst jetzt sah der Junge, dass es der Griff seines eigenen Dolchs war, den Regy ihm zwischen die Zähne geschoben hatte. »Wenn ich gewollt hätte, wärst du längst tot. Aber ich wollte nicht.«
    Simon befreite sich aus Regys Armen, denn er verließ sich lieber nicht darauf, dass dieser wunderliche Anflug von Samaritertum länger andauern würde. »Warum nicht?«, erkundigte er sich argwöhnisch.
    Regy blieb die Antwort schuldig.
    »Vielleicht, weil heute Mittwoch ist?«, schlug Godric vor.
    »Was hat das damit zu tun?«, fragte sein Bruder entgeistert.
    »Keine Ahnung. Aber der Grund ist so gut wie jeder andere, oder?«
    Die Zwillinge knieten bei Simons Füßen im dreckigen Stroh, und sie waren kreidebleich, erkannte er, alle beide. Vermutlich waren sie zurück in die Turmkammer gestürzt, als sie ihn fallen hörten, hatten ihn in Regys Armen und seinen Dolch in Regys Hand gesehen und geglaubt, sie seien zu spät, um seinen Tod zu verhindern.
    Er robbte zu ihnen hinüber, bis er außerhalb der Reichweite von Regys Kette in Sicherheit war. »Gib mir mein Messer«, befahl er. Seine Stimme klang schleppend.
    Regy hatte den Kopf abgewandt, sodass sein Gesicht hinter einem Vorhang verfilzter schwarzer Haare verborgen war. Ohne aufzuschauen, warf er den Dolch in ihre Richtung. Er landete vor Wulfric im Stroh, der ihn hastig aufhob.
    »Sag es mir, Regy. Warum nicht?«, fragte Simon verständnislos.
    »Ich habe mir gedacht, es wäre nett, euch einmal zu überraschen«, kam die Stimme hinter dem Haarvorhang hervor, erfüllt von diebischem Vergnügen wie so oft.
    Simon nickte, kam mühsam auf die Füße und ging ohne ein weiteres Wort hinaus.
    Godric und Wulfric folgten, schlossen die Tür und schoben den Riegel vor. Sie stützten Simon auf dem Weg die schmale Wendeltreppe hinab, denn er konnte sich kaum auf den Beinen halten, geleiteten ihn den Flur entlang und zu seiner Kammer. Wankend gelangte Simon bis zum Bett. Dankbar sank er den Kissen entgegen, schon im Halbschlaf, doch er murmelte noch: »Ich hab mir nicht mal auf die Zunge gebissen …«
    Als er aufwachte, saßen Godric und Wulfric im Bodenstroh, die Rücken an die Wand gelehnt, die Beine lang vor sich ausgestreckt.
    »Wie viel Zeit ist vergangen?«, fragte Simon.
    »Vielleicht zwei Stunden«, antwortete Godric.
    Simon nickte und machte eine Bestandsaufnahme. Er hatte sich beim Sturz beide Ellbogen aufgeschlagen, und am Kopf ertastete er eine Beule. Aber das war für dieses Mal alles. Er atmete erleichtert auf, schlug die Decke zurück und schwang langsam die Beine aus dem Bett. »Glück gehabt.«
    Die Zwillinge nickten.
    »Du hattest Schaum vor dem Mund«, berichtete Godric mit einer Mischung aus Schrecken und Faszination.
    »Ich bin nicht sicher, ob ich das wissen will«, murmelte Simon verlegen und stand auf.
    »Es sah wild aus«, fuhr Godric grinsend fort. »Ich glaube, es hat sogar Regy erschreckt.«
    »Vielleicht ist das der Grund, warum du noch lebst«, mutmaßte Wulfric.
    »Tja.« Simon dachte einen Moment nach. »Ich war jedenfalls nicht der erste Fallsüchtige, den er gesehen hat.«
    »Wieso glaubst du das?«
    »Edivia hat mir immer einen Löffelstil oder Ähnliches zwischen die Zähne geschoben. Das verhindert den Zungenbiss. Er wusste das.«
    »Hm.« Wulfric brummte. »Sicher verbirgt sich ein rührendes Geheimnis dahinter. Seine über alles geliebte kleine Schwester oder sonst wer hatte die Fallsucht. Und weil er sich an sie erinnert hat, hat er kurzerhand beschlossen, von seiner Gewohnheit abzuweichen und dich nicht umzubringen, als er die Gelegenheit hatte.«
    »Es ist auf jeden Fall bemerkenswert«, erwiderte Simon nachdenklich.
    »Mach dir lieber keine Hoffnungen, dass Regy sich gebessert hat«, warnte Wulfric. »Es war eine Laune, nichts weiter.«
    »Jesus …« Godric fuhr sich mit der Hand über den Nacken. »Als ich es sah, dachte ich, ich hör das Totenglöckchen für dich läuten.«
    Simon nickte. Trotzdem war er alles in allem froh, dass es dort oben bei Regy passiert war, nicht in der Halle oder im Burghof, vor den Augen der alten Dame, des Stewards und seiner

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