Hiobs Brüder
…
»… nicht sicher, wie das alles weitergehen soll«, drang die Stimme seines Cousins zu ihm vor.
»Entschuldige. Was sagtest du?«
William warf ihm einen verstohlenen Seitenblick zu, der halb befremdet und halb besorgt war.
Solche Blicke erschütterten Alan nicht mehr, denn er hatte sich daran gewöhnt. Trotzdem sagte er: »Tut mir leid, wenn ich mich ein wenig sonderbar benehme. Das ist kein Wunder, weißt du. Ich bin sonderbar.«
»Vater hat einen Brief von deiner Großmutter bekommen, der ihn sehr beunruhigt hat«, berichtete William.
Alan unterdrückte ein Seufzen. »Gott allein mag wissen, was sie sich davon versprochen hat. Wie geht es ihm? Sie sagte mir, er sei krank?«
William hob kurz die Schultern. »Du kennst ihn ja. Er verliert nie ein Wort darüber. Und mein Vater ist krank immer noch gefährlicher und lebendiger als König Stephen gesund. Trotzdem. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Das war es, was ich dir gerade erzählen wollte. Ich mache mir Sorgen. Er verliert an Rückhalt. Die Bischöfe halten es natürlich mit Stephen, und die Lords machen, was sie wollen. Ihnen ist es allmählich gleich, wer die Krone trägt. Ich habe das Gefühl, dass uns alles entgleitet.« Plötzlich breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Es ist so gut, dass du zurück bist, Alan.«
»Ich glaube kaum, dass ich in der Lage sein werde, das Ruder herumzureißen«, warnte der.
»Wieso nicht? Das konntest du doch seit jeher.«
Konnte ich das wirklich?, fragte er sich. Er wusste es nicht genau. Vieles war noch verschwommen. »Ich habe mich verändert, schätze ich.«
»Ja. Das merkt man.« Es war unmöglich zu sagen, was William von dieser Erkenntnis hielt. »Willst du mir nicht verraten, wo du warst? In Gefangenschaft, glauben die meisten.«
»In gewisser Weise.«
»Nun, wie dem auch sei. Jetzt bist du wieder da. Und deine Rückkehr wird den Männern den Glauben an unsere Sache zurückgeben.«
»Wieso denkst du das?«
»Weil es immer dein Krieg war. Mehr als der meines Vaters, sogar mehr als Mauds oder Stephens. Niemand hat so unverrückbar daran geglaubt, das Richtige zu tun, wie du. Darum war es immer leicht, dir zu folgen.«
Gott steh mir bei , dachte Alan. Was hab ich getan ?
Helmsby, Juni 1147
»Warum so finster, mein Augenstern?«, fragte Regy.
Simon stellte die Schale mit dem Essen und den Bierkrug auf den Boden und ging rückwärts zur Tür. »Wie kommst du denn auf so etwas?«, entgegnete er verdrossen.
»Ich merke doch schon seit Tagen, dass du bedrückt bist. Komm schon. Erzähl’s Onkel Regy. Erleichtere dein Herz.«
Simon lächelte humorlos. »Welch unwiderstehliches Angebot … Aber vielen Dank, lieber nicht.«
»Beginnst du vielleicht zu befürchten, Alan werde nie wiederkommen und uns alle hier versauern lassen? In dem Falle müsste ich dir zu deiner Klugheit gratulieren und käme zu der beglückenden Erkenntnis, dass ich nicht länger allein bin. Doch nicht der einzige Fuchs unter all den dämlichen Hühnern hier, die mit dem Kopf unter dem Flügel herumlaufen, ohne es auch nur zu merken.«
Simon seufzte verstohlen. »Alan kommt schon zurück. Früher oder später.« Er nickte den Zwillingen zu, die an der Tür gewacht hatten. Godric und Wulfric traten hinaus.
»Und was, wenn nicht?«, fragte Regy in Simons Rücken. »Wie lange willst du hier herumlungern und warten, de Clare?«
Simon blieb noch einmal kurz stehen, wandte sich jedoch nicht um. »Regy, ich habe keine Lust, mich mit dir zu unterhalten. Deine Bosheit langweilt mich, und außerdem riecht es hier schlimmer als im Schweinestall. Im Übrigen …«
Simon verstummte jäh. Er war niemals in der Lage, Worte zu finden, die wirklich beschrieben, was bei einem Anfall mit seinem Körper geschah, aber das Gefühl, von einem Herzschlag zum nächsten giftiges Eis statt Blut in den Adern zu haben, traf es noch am ehesten. Er fiel, und noch ehe er im verdreckten Stroh landete, hatte jeder Muskel seines Körpers sich verkrampft. Ein schmerzhaftes Gleißen, das innen in seinem Kopf zu sein schien, nahm ihm die Sicht, und die Welt entglitt ihm.
Für wie lange, wusste er nicht. Aber als das Eis und das Gleißen verschwanden und er die Augen öffnen konnte, fand er sich in Regys starken Armen, die ihn von hinten umschlangen. Eine Hand lag auf seiner Stirn, eine auf der Brust.
Der Schreck fuhr Simon mit beinah solcher Macht in die Glieder wie der Krampfanfall. Er stieß einen Schrei aus, der gedämpft war, weil irgendetwas in
Weitere Kostenlose Bücher