Hiobs Brüder
eine kluge Entscheidung, fand er.
»Und jetzt erzähl, wie du dein Gedächtnis wiedergefunden hast«, drängte Godric.
»Ich bin nach Norwich zu Josua ben Isaac zurückgekehrt«, begann Alan. »Moses war übrigens bitter enttäuscht, dass ich dich nicht mitgebracht hatte, Oswald.«
Der trat endlich aus dem Schatten der Säule zu ihnen. Einen Moment sahen sie sich in die Augen, dann nahm Oswald den Becher, den King Edmund ihm geduldig hinhielt, reichte ihn aber weiter an Alan.
Alan beschloss, es als Versöhnungsgeste zu deuten, lächelte ihm zu und trank. Aber er hatte den Verdacht, dass er noch allerhand würde tun müssen, um wieder Oswalds allerallerbester Freund zu werden.
So kam es, dass er auf dem Rückweg mit größerer Milde über Verfehlungen und Vergebung nachdachte, als ihm eigentlich lieb war. Er beeilte sich nicht, folgte dem schmalen Pfad durch das Wäldchen zwischen Dorf und Burg gemächlichen Schrittes, hörte das Rascheln kleiner lichtscheuer Kreaturen im Unterholz und blieb einen Moment stehen, um einer Nachtigall zu lauschen, die in einem Haseldickicht sang.
Es fühlte sich immer noch seltsam ungewohnt an, wieder eine Vergangenheit zu haben, und er betrachtete seine Erinnerungen an Susanna mit einem gewissen Misstrauen. Und mit Distanz. Er wusste, er hatte längst nicht alles richtig gemacht.
Seine Großmutter war von seinem Verlöbnis mit Susanna de Ponthieu nicht begeistert gewesen. Susanna sei ein geistloses, oberflächliches Geschöpf, und nach einem Jahr, ach was, nach einem Monat werde sie ihn zu Tränen langweilen, hatte Lady Matilda prophezeit. Alan hatte natürlich nicht auf sie gehört. Seine Großmutter hatte immer Vorbehalte gegen die Ponthieu gehabt, wusste er, hatte diese Abneigung sogar auf ihre eigene Tochter übertragen, als Eloise Haimons Vater geheiratet hatte. Außerdem war er überwältigt gewesen von Susannas Schönheit und ihrer Garderobe; ihre vornehme Arroganz war eine Herausforderung gewesen, die seinen Jägerinstinkt geweckt hatte. Also hatte er sie geheiratet. Es war nicht schwierig gewesen, die nötige Einwilligung der Krone zu bekommen – Gloucester hatte sie im Namen seiner Schwester, der rechtmäßigen Königin, erteilt.
Und dann?
Alan erinnerte sich an ihre Hochzeit, die ein rauschendes Fest gewesen war. Eine strahlende, sehr verliebte Braut in einem veilchenblauen Kleid. Und ein stolzer Bräutigam. Aber was hatte er empfunden außer diesem Besitzerstolz? Er wusste es einfach nicht mehr. Weil er sich nicht erinnerte? Oder weil es nichts zu erinnern gab?
Langsam stieg er die Treppe hinauf zu dem Gemach, das er ein Jahr lang mit seiner Frau geteilt hatte. An diesen Teil entsann er sich nur zu lebhaft. Nicht einmal in der Hochzeitsnacht hatte Susanna jungfräuliche Scheu gezeigt, im Gegenteil. Sie hatte sich kühl und unnahbar gegeben, aber nur um ihm zu schmeicheln, indem sie sich verführen und erobern ließ. Und als sie vertrauter miteinander wurden, war sie einfallsreich und hemmungslos geworden. Er hatte sich eingeredet, er müsse der glücklichste Mann der Welt sein. Und er hatte sich nie gestattet, sich zu fragen, was er denn dann bei Eanfled zu suchen gehabt hatte, der Schwester seines Reeve, der er ein Kind angehängt hatte, wenn Susanna nicht gelogen hatte. Heute, da er die Dinge mit Abstand betrachtete, scheute er sich nicht mehr, diese Frage zu stellen.
Er öffnete die Tür und trat über die Schwelle.
Susanna saß auf dem Fenstersitz. Ihre Haltung war perfekt, aber gänzlich unnatürlich, und er fragte sich, wie lange sie wohl so ausgeharrt hatte, um ihn in dieser Pose zu empfangen: die Schultern zurückgenommen, die Hände unter der vorgereckten Brust gefaltet, die Knie zusammengedrückt, das Kinn angehoben. Sie schaute in die mondhelle Sommernacht hinaus. Das Konzert der Grillen und der Frösche in den Tümpeln auf den Wiesen wirkte unglaublich laut. Doch für ihn waren es tröstliche Laute. So klang Zuhause im Sommer.
Alan schloss die Tür, und Susanna wandte sich um, gab vor, ihn erst jetzt zu bemerken. »Ich fing an zu befürchten, du hättest mich vergessen.«
Immer die Flucht nach vorn. Das hatte ihm seit jeher an ihr gefallen. »Ich bedaure, dass ich dich habe warten lassen«, entgegnete er sarkastisch.
»Nun, man kann wohl sagen, ich bin daran gewöhnt.«
»Diese Unterhaltung haben wir schon einmal geführt, scheint mir. Ich glaube, es hat wenig Sinn, dass wir sie wiederholen. Und wenn du denkst, du könntest mich in die Defensive
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