Hiobs Brüder
den gefüllten Kelch und gab ihn Alan, der ihn Oswald entgegenstreckte. Der nahm ihn und trank durstig, freilich ohne den Symbolcharakter dieser Handlung zu erkennen.
Als der große Pokal halb geleert war, nahm Alan ihn ihm behutsam aus den rundlichen Händen. »Ich denke, das reicht. Ich möchte lieber nicht hören, was Gunnild zu sagen hat, wenn wir dich betrunken nach Hause bringen.«
Die anderen lachten leise, und Oswald stimmte mit ein, aber mehr versehentlich, und als er es merkte, wurde seine Miene sogleich wieder finster.
Alan erkannte, dass ihm noch nicht vergeben war. Mit einem leisen Seufzen setzte er den Kelch an, trank und reichte ihn weiter an Simon.
Während der Wein herumwanderte, sagte er: »Es wird Zeit, dass wir ein paar Pläne machen.«
»Willst du zurück in den Krieg?«, fragte Luke.
Alan schüttelte den Kopf. »Ich war bei Robert of Gloucester und habe mit ihm und vielen Männern gesprochen. Der Krieg ist zum Stillstand gekommen. Marodierende Banden ziehen durchs Land und drangsalieren die Bauern, die Lords schließen geheime Stillhalteabkommen und sehen einander tatenlos zu, wie sie sich widerrechtlich auf Kosten der Krone bereichern. In diesem Krieg ist keine Ehre mehr. Die Kaiserin hat resigniert und tut gar nichts mehr. Und Stephen …« Mit einem Blick auf Simon fuhr er fort: »Ich hoffe, du vergibst mir ein offenes Wort: Stephen hat weder genügend Rückhalt noch die Kraft, um die Dinge zu ändern.«
»Nein, ich weiß«, stimmte Simon zu. »Ich hab ihn gesehen. Er ist … ausgebrannt, schätze ich.«
»Gloucester denkt, Henry Plantagenet sei unsere einzige Hoffnung, diesen Krieg zu beenden«, fuhr Alan fort. »Er glaubt, viele Lords, die Henrys Mutter nie anerkannt haben, würden ihren Sohn als rechtmäßigen Thronfolger akzeptieren. Und mein Onkel Gloucester wünscht, dass ich nach Anjou gehe, um Henry einen Brief zu überbringen und mit ihm zusammen unser weiteres Vorgehen zu erörtern.«
»Und?«, fragte Wulfric in die gespannte Stille. »Wirst du?«
»Auf keinen Fall.« Alan sprach immer noch in gemäßigtem Ton, aber jeder hörte seine grimmige Entschlossenheit. Er würde keinen Finger für Henry rühren bis zu dem Tag, da er Miriam als Braut nach Helmsby führte. Sollte dieser Tag niemals kommen, würde Henry auf Alans Schwert und auf seine Vasallentreue verzichten müssen. Sollte Gott indessen Henry Plantagenet als den nächsten König von England ausersehen haben und der Auffassung sein, dass dieser Auserwählte Alan of Helmsby brauche, um auf den Thron zu gelangen – nun, in dem Fall wusste Gott ja, was er zu tun hatte. »Aber ich hab mir gedacht, vielleicht willst du gehen«, schlug er Simon vor. »Und ihr vielleicht auch?«, fragte er die Zwillinge.
Ihre strahlenden Gesichter waren Antwort genug. Doch Simon zögerte. »Ich …« Er brach unsicher ab, dann sammelte er seinen Mut und sah Alan direkt an. »Ich hatte gehofft, du würdest mit mir nach Woodknoll reiten und mir helfen, es zurückzubekommen.«
»Jederzeit«, erwiderte Alan. »Vor oder nach deiner Reise auf den Kontinent. Woodknoll läuft nicht weg, und Rollo de Laigle wird keinen besseren Anspruch darauf haben, nur weil er sich ein paar Wochen länger dort halten konnte. Aber die Entscheidung liegt bei dir.«
Simon überlegte einen Moment. Dann sagte er langsam: »Ich sehne mich nach Woodknoll, das geb ich zu. Solange ich es nicht zurück habe, wird ein Teil von mir immer auf der Insel gefangen bleiben. Aber ich will auch zu Henry. Du weißt es nicht, aber er hat Godric und Wulfric und mich schon bei seinem Aufbruch gebeten, mitzukommen. Und obwohl er sich dir gegenüber ehrlos benommen hat, würde ich am liebsten noch heute Abend aufbrechen, um mich ihm anzuschließen.«
»Meinetwegen brauchst du kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn du gehst«, sagte Alan. »Was er getan hat, ist eine Sache zwischen ihm und mir. Und es macht mich nicht blind für seine Vorzüge.«
Ein erleichtertes Lächeln huschte über Simons Gesicht, das immer noch blass und schmal war, aber nicht mehr so eigentümlich zart wie bei seiner Ankunft auf der Isle of Whitholm. Unsere abenteuerliche Reise hat ihm gutgetan, dachte Alan flüchtig.
Der junge Normanne rang noch einen Moment mit sich, tauschte einen Blick mit den Zwillingen und nickte dann. »Wir brechen so bald wie möglich auf. Woodknoll muss warten. Es wäre sowieso nicht gut, wenn ich es mir zurückhole und dann gleich wieder verschwinde.«
Alan gab ihm recht. Es war
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