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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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bei seiner Ankunft.
    Godric und Wulfric warteten, bis seine Schritte verklungen waren. Dann traten sie aus der Tintenschwärze des Schattens in die Sternennacht. »Puh«, machte Godric leise. »Du spielst mit ihnen wie ein Gaukler auf seiner Flöte. Manchmal bist du richtig unheimlich, Mann.«
    Simon seufzte leise. »Fängst du jetzt auch noch an? Reicht es nicht, dass alle anderen das sagen?«
    »Ach, hör schon auf«, warf Wulfric mit gutmütigem Spott ein. »Du genießt deinen Ruf.«
    Während sie nebeneinander zum Ufer zurückgingen, sann Simon darüber nach, ob das stimmte. Ganz gewiss hatte er die Rolle nicht gesucht, die ihm zugefallen war. Es war einfach passiert: Er war der Mann an Henrys Hof, der alle Geheimnisse kannte. Er wusste, es lag eigentlich nur daran, dass er lieber zuhörte als redete. Und es fiel ihm auch nicht schwer, das Vertrauen der Menschen zu wecken, weil er als eher sanftmütig galt und weil er ein Außenseiter war. Er gehörte zu keiner der Fraktionen, die es an jedem Hof gab. Und weil er diskret war und sein Wort niemals brach, wenn er jemandem Verschwiegenheit zusicherte, ganz gleich, was Henry ihm manchmal versprach oder gar androhte. Simon tat nichts, was nicht auch jeder andere gekonnt hätte. Und doch munkelten die Leute, er habe übernatürliche Kräfte und könne die Gedanken der Menschen erraten. Und er könne Briefe und Urkunden lesen, selbst wenn sie gefaltet oder gerollt und versiegelt waren. Das war natürlich Unsinn, aber weil er Henry beim Studium mit den gelehrten Brüdern jahrelang gegenübergesessen hatte, konnte Simon ein Schriftstück besser auf dem Kopf lesen als richtig herum, und er schrieb von rechts nach links. Als Henrys Vater im vergangenen Sommer aus heiterem Himmel und mit nicht einmal vierzig Jahren gestorben war, hatten die Nachlassverwalter seinen Söhnen eine höchst ungewöhnliche Verfügung verkündet: Der Herzog der Normandie und Graf von Anjou habe befohlen, sein Leib müsse so lange unbegraben bleiben, bis sein ältester Sohn öffentlich schwor, das Testament anzuerkennen und zu befolgen. In Unkenntnis des Inhalts.
    Henry war erschüttert gewesen über den Verlust seines Vaters, aber auch fuchsteufelswild über diesen schlauen Winkelzug. »Was in aller Welt soll ich tun?«, hatte er den Kreis seiner engsten Vertrauten gefragt. »Wie kann ich dulden, dass die sterbliche Hülle meines Vaters unbeerdigt bleibt? Aber wie soll ich sein Testament anerkennen, ohne zu wissen, was er meinem raffgierigen und machthungrigen Bruder Geoffrey zugeschrieben hat?«
    »Die Burgen von Chinon, Loudun und Mirebeau. Und Anjou und das Maine an dem Tag, da du König von England wirst«, hatte Simon in die ratlose Stille geantwortet.
    Die Männer in Henrys Gemach hatten ihn angestarrt, wie Kinder auf dem Jahrmarkt einen Feuerschlucker bestaunten: mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Grauen. Auch Henry. »Woher weißt du das?«, hatte der ihn gefragt.
    »Was willst du hören?«, hatte Simon achselzuckend erwidert. »Ich weiß es eben. Man könnte vielleicht sagen, ich mache es mir zur Aufgabe, solche Dinge zu wissen.«
    Der Bischof von Angers, der Henry mit sichtlicher Befriedigung und Hochnäsigkeit über die Verfügungen seines Vaters in Kenntnis gesetzt hatte, hatte das Testament vor sich auf dem Tisch liegen gehabt, und Simon, der ihm gegenüber an Henrys Seite stand, hatte es gelesen, während Henry und der Bischof stritten.
    Henry hatte Simon mit einem ungläubigen Kopfschütteln betrachtet und dann an seine Brust gedrückt. »Du bist einfach unglaublich, de Clare. Aus was für einer abscheulichen Klemme du mich befreist. Sagt den Pfaffen, sie können meinen Vater begraben. Ich akzeptiere sein Testament. Oder zumindest gebe ich das vor. Die Burgen soll Geoffrey von mir aus haben, solange er sich benimmt. Anjou und Maine werde ich niemals hergeben, aber das muss der ehrwürdige Bischof ja nicht erfahren, richtig? Leider bin ich ja immer noch nicht König von England. Simon, lass dich in Gold aufwiegen …«
    Wulfric hatte in gewisser Weise recht, musste er nun einräumen, als er an diese Episode zurückdachte. »Ich glaube, es ist nicht der Ruf, den ich genieße, sondern der Einfluss.«
    »Na ja, das ist kein Wunder«, räumte Wulfric ein, während er und sein Bruder das kleine Ruderboot ins Wasser schoben und hineinsprangen. »Simon de Clare, das fallsüchtige Bübchen, das von seinem Onkel, seinem König und von der halben Welt herumgeschubst worden ist, ist auf einmal

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