Hiobs Brüder
nicht plötzlich bigott, Mutter? Wen kümmert es, dass die Braut geschieden ist, wenn sie halb Frankreich mit in die Ehe bringt?«
»Du wirst es unterlassen, meine Urteilskraft oder Motive infrage zu stellen«, wies Maud ihren Sohn zurecht, aber man hörte, dass sie es allmählich müde wurde, Respekt von ihm einzufordern. »Ich bin nicht bigott, sondern irritiert.«
Die Auflösung der Ehe von König Louis von Frankreich und seiner Königin, Aliénor von Aquitanien, war ein erdstoßartiger Skandal, der das ganze Land erschütterte, und Simon ahnte, dass sie die Nachbeben noch lange spüren würden. Der offizielle Scheidungsgrund war der übliche, den auch Alan damals bemüht hatte: In den Augen der Kirche seien König Louis und Königin Aliénor zu nah verwandt, hatte der Erzbischof von Sens auf einer Bischofssynode in Beaugency verkündet, also sei die Ehe null und nichtig. Der wahre Grund war wohl, dass Aliénor nur zwei Töchter bekommen hatte, Louis aber dringend einen Sohn und Erben brauchte. Oder vielleicht stimmten auch die Gerüchte, welche besagten, der König und die Königin von Frankreich hätten sich auf ihrem glücklosen Kreuzzug vor einigen Jahren hoffnungslos entzweit, und die verruchte Aliénor habe ein Verhältnis mit ihrem Onkel Raymond, dem Fürsten von Antiochia, gehabt. Aber so recht konnte niemand begreifen, was den frommen Louis besessen hatte, gegen das ausdrückliche Verbot des Papstes zu verstoßen und seine Ehe aufzulösen.
Henry rieb sich über die Oberschenkel. »Auf keinen Fall können wir zulassen, dass Geoffrey sie bekommt. Gott, wie kann er nur? Weiß er denn nicht, dass sie’s mit Vater getrieben hat damals in Poitiers, als er dort Seneschall war?«
Seine Mutter stützte die Hände auf die Sessellehnen und lehnte sich leicht vor. »Woher willst du das wissen?«
»Oh, komm schon, ma mère . Ich kann kaum glauben, dass dir das neu ist. Er war dir doch nicht einmal treu, als ihr noch zusammengelebt habt.«
»Dein Vater und ich haben niemals zusammen gelebt – der Herr sei gepriesen für diese kleine Gnade –, und ich habe auf seine Treue keinerlei Wert gelegt. Aber Aliénor von Aquitanien? Bist du sicher?«
»Nein«, räumte ihr Sohn achselzuckend ein, verschränkte die Arme und begann, vor ihr auf und ab zu gehen. »Aber als ich letzten Sommer in Paris mein Glück bei ihr versuchen wollte, war er auf einmal voller moralischer Entrüstung und hat mir die fürchterlichsten Dinge angedroht, wenn ich es tue.«
»Was vielleicht daran lag, dass sie die Königin von Frankreich war und dein Vater und du eigens nach Paris gereist wart, um einen offenen Krieg mit König Louis zu vermeiden«, warf Simon ein.
»Wer weiß. Oder lag es daran, dass mein Vater befürchtete, ich könnte mich des Inzests schuldig machen, wenn ich mit derselben Frau schlafe wie er? Oder womöglich war er einfach nur eifersüchtig. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie er sie angesehen hat. Fehlte nur, dass er anfing zu sabbern …«
»Henry«, wies seine Mutter ihn scharf zurecht. »Ich gestatte nicht, dass du so von deinem Vater und der Königin von Frankreich sprichst. Es ist … politisch unklug.«
»Wieso?«
Die Kaiserin wechselte einen Blick mit Simon, und als der nickte, bat sie: »Sagt Ihr es ihm, de Clare.«
Simon wandte sich an Henry. » Du musst Aliénor von Aquitanien heiraten. Es ist der einzige Weg, um zu verhindern, dass dein Bruder oder irgendein anderer Glücksritter sie bekommt, der mit der Macht Aquitaniens im Rücken deine Pläne durchkreuzen könnte.«
»Um Himmels willen, Simon …« Henry trat zu einem seiner Wandteppiche und begann, die Fransen miteinander zu verknoten. »Das kann nicht dein Ernst sein. Sie ist mindestens zehn Jahre älter als ich. Sieh dir meine Eltern an, dann weißt du, wozu das führt.«
»Du sollst keine provençalische Liebesromanze nachspielen, sondern deine politische Zukunft sichern«, warf seine Mutter ein.
»Indem ich eine Frau heirate, die, wie du nicht zu Unrecht sagst, eigentlich keinem christlichen Edelmann mehr zuzumuten und deren Fruchtbarkeit zweifelhaft ist? Was für eine rosige Zukunft soll das sein?«
»Sie hat zwei Töchter bekommen«, entgegnete Simon.
»Aber keinen Sohn.«
»Was vermutlich mehr mit Louis’ frommer Enthaltsamkeit zu tun hat als mit Aliénors Fruchtbarkeit. Aber das ist im Augenblick zweitrangig. Sollten deine Befürchtungen sich bewahrheiten, kannst du den gleichen Weg beschreiten wie König Louis, denn du bist genauso
Weitere Kostenlose Bücher