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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Simon interessierte sich nicht sonderlich für Kreuzzugslyrik, aber ihm war immer daran gelegen, sein Latein zu verbessern. Konzentriert folgten seine Augen den Zeilen von rechts nach links, von unten nach oben.

Tours, März 1152
    Aliénor von Aquitanien residierte im Gästehaus der Benediktinerabtei zu Tours, und zwar mit so großem Gefolge, dass ein ahnungsloser Besucher nie auf den Gedanken gekommen wäre, dass sie seit knapp zwei Wochen keine Königin mehr war. Simon, Godric und Wulfric trafen am Vormittag eines nasskalten Märztages dort ein und mussten den Bruder Pförtner, einen Wachoffizier, zwei streitsüchtige Ritter des Kämmerers und einen Drachen in Gestalt einer Hofdame überwinden, ehe sie vorgelassen wurden.
    »Die Königin ist bei der Beichte«, beschied der Drache ihnen. »Kommt morgen Nachmittag wieder.«
    » So lange hat die Ärmste zu beichten, Madame?«, erkundigte Simon sich. »Ich schlage vor, Ihr meldet uns, sobald sie zurück ist. Ihr tätet ihr einen Gefallen, glaubt mir.«
    »Das sagen sie alle. Wer schickt Euch?«
    »Der Herzog der Normandie.«
    Der Drache schnaubte, und Simon wunderte sich beinah, dass keine Rauchwölkchen aus den großen Nasenlöchern stiegen. »Schon wieder ein Heiratskandidat? Kann er sich denn schon allein die Hosen zuschnüren, oder geht er noch mit der Amme pinkeln?«
    Nie zuvor hatte Simon eine Dame so etwas sagen hören, aber er verbarg seine Erschütterung ohne große Mühe. Wenn er in den vergangenen fünf Jahren eines gelernt hatte, dann das. Besser spät als nie, hätte Alan of Helmsby wohl gesagt. »Madame, ich versichere Euch …«
    »Was gibt es denn, Comtesse?«, fragte eine tiefe Frauenstimme hinter seiner linken Schulter, und Simon wandte sich um. Auch die Zwillinge drehten die Köpfe, und anders als Simon legten sie keinen großen Wert auf vornehme Zurückhaltung in allen Lebenslagen. »Jesus …«, stieß Godric hervor, und im selben Moment murmelte sein Bruder: »Heiliger Oswald, steh uns bei.«
    Aliénor von Aquitanien zuckte nicht mit der Wimper. Sie war auch nicht erschrocken über die Erscheinung der Zwillinge. Mit einem wohldosierten Lächeln sagte sie zu Simon: »In meiner Heimat sagt man, Menschen wie Eure Eskorte hier bringen Glück.«
    »In meiner Heimat sagt man das auch«, hörte Simon sich antworten.
    »Seltsam«, gab sie zurück. »Ihr seht irgendwie nicht besonders glücklich aus.«
    Simon fiel keine geistreiche Erwiderung ein. Die Gedanken in seinem Kopf schienen seltsam verlangsamt. Er kam sich dümmlich vor und schärfte sich ein, so lange den Mund zu halten, bis er sicher sein konnte, dass er nicht stammeln würde.
    Es war nicht nur, dass sie eine außergewöhnlich schöne Frau war. Damit hatte er gerechnet, denn das war allgemein bekannt, und er hatte sie im vergangenen Sommer auch schon einmal aus der Ferne gesehen, als er Henry und dessen Vater zu Verhandlungen nach Paris begleitet hatte. Aliénors hüftlanges Haar, das unter dem Couvre-chef hervorwallte, war blond, aber in ihrem Fall war man geneigt, das Wort »gülden« zu wählen. Große blaue Augen, makellose Haut, eine zierliche Nase und ein erdbeerroter Mund, sie alle in so perfekter Harmonie, als hätte Gott bei ihrer Erschaffung im Sinn gehabt, die Engel neidisch zu machen. Aber was Simon die Sprache verschlug und seinen sonst eher regen Verstand in einen Irrgarten verwandelte, war die Kraft ihrer Ausstrahlung. Ein Blick in ihre Augen genügte, um viele Dinge zu verstehen, die ihm rätselhaft erschienen waren. Ein eiserner Wille sprach aus diesen Augen. Etwas ganz und gar Unbeugsames. Und die gefährliche Arroganz, die auf all jene lauerte, die Gott mit den Gaben des Verstandes und der edlen Geburt in höherem Maße gesegnet hatte als die meisten anderen. Nicht einmal Henry Plantagenet würde es leicht haben, diese Frau seinem Willen zu unterwerfen, erkannte Simon, und der Gedanke gefiel ihm.
    Er verneigte sich mit der Hand auf der Brust. »Vergebt mir, Madame. Aber ich nehme an, Ihr seid sprachlose Männer gewöhnt.«
    Ihr Lachen klang unbeschwert und warm. »Aber nur wenige, die auf so charmante Weise sprachlos sind. Und habt Ihr auch einen Namen?«
    »Simon de Clare. Meine Freunde sind Wulfric und Godric of Gilham. Wir wären dankbar für ein paar Minuten Eurer Zeit.«
    Aliénor führte sie in ein helles Gemach links der Halle, dicht gefolgt von ihrem Drachen. Obwohl sie hier nur auf der Durchreise weilte, war der Raum mit erlesenen Tapisserien geschmückt. Bücher

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