Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
töten, ihn dann noch einmal zu bumsen und ihn dann für immer zu verlassen. Sie brachte es zwar nicht über sich, seinen gelben Hühnerhals durchzuschneiden, aber es belustigte sie, wie nahe er jeden Tag dem Sterben war, und sie verliebte sich früher oder später sowieso in jeden, der sie zum Lachen brachte.
Es war Arnes Idee, basierend auf einem der Einträge in ihrem Tagebuch, ein Inserat im Happy Weekend zu lancieren. Das war dann, im Sommer ’93, der Anfang des Rudels.
Das Rudel.
Das war eigentlich nicht der Name, den Bernadette ursprünglich vorgehabt hatte. Die Herde oder Die Koppel wäre ihr lieber gewesen, aber irgendwie wirkten fünf nicht wie eine richtige Herde, und Rudel klang auch aggressiver, klang nach Werwolf, hatte noch mehr Potenzial. Rudel war auch genau die richtige Richtung. Sie waren Täter, keine Opfer, Jäger, nicht Gejagte. Drei Männer und zwei Frauen.
Der Erste, der sich meldete auf das Kontaktinserat, in dem es um nicht mehr als völlig tabulosen Gruppensex ging, war Dirk-Daniel Gester. Er wohnte anfangs nicht in Berlin, sondern in Leipzig, wo er als Wessi in einer Wessi-Anlageberatungsfirma arbeitete, die den triefnasigen Ossis das Geld aus der Tasche schwatzte. Sein Arbeitsalltag bestand darin, Anlageprofile potenzieller Kunden zu entwerfen, diese dann von der Notwendigkeit investitionistischer Zukunftssicherung zu überzeugen und per Follow-up nie mehr vom Haken zu lassen. Der soziale Auftrag, mit dem Gester seine Tätigkeit ehedem bemäntelt hatte, war schon längst einer hohlen Luxussucht gewichen, und wie so viele, deren Lebenslinien keine wirklichen Ausprägungen mehr zu versprechen schienen, versuchte er es erst als Teilnehmer an gut durchorganisierten sogenannten »Survival-Tours« in Hinterburma und den Anden und strandete schließlich im Happy Weekend. Gester war stämmig, mittelgroß, hatte eine hohe, glänzende Stirn, trug eine bunte Brille auf seinem Stupsgesicht und hielt seine Muskeln künstlich im Fitness-Studio intakt. Sein Gesichtsausdruck war, besonders während sexueller Betätigungen, geradezu brechreizerregend schlaff, aber er hatte einen schönen, sehr großen Schwanz, den er mit fast mechanischer Ausdauer zu führen verstand. Im Laufe des Jahres zog er dann nach Berlin, arbeitete für die Zweigstelle dort, solange er noch konnte. Der Grund seines Umzugs war Sonja.
Sonja Zimmermann und Guido Schnade. Was für Allerweltsnamen. Was für lichtlose Leben. Aber sie perfektionierten das Rudel. Sie waren das beautiful couple , das zweitgrößte Wunder, das Bernadette und Arne jemals zuteil wurde. Sonja und Guido kamen gemeinsam ins Rudel, denn Sonja und Guido waren ein Paar.
Ihre Körper waren unglaublich schön. Sonja mit ihrem brünetten, keck kinnlangen Haar, den perfekten Brüsten, den frechen Augen, Guido war blond, mit flaumigem Schnurrbart, halbwachen grauen Augen und dem Körper einer römischen Statue. Wenn sie den Mund aufmachten und redeten, fing ihr Zauber ein bisschen an zu riechen, denn beide hatten diesen sächsisch-berlinerischen Akzent, den die Wessis durch die DEFA-Synchronisationen zu hassen gelernt hatten, aber solange sie schwiegen und ganz Körper waren, waren sie perfekt. Hemmungslose, willige und wissbegierige Fickmaschinen. Sonja war Fachverkäuferin in einem Spielwarengeschäft, noch heute stolz auf ihre Ausbildung und die Tests dabei, Guido war Dachdecker. Sie waren dauernd, unendlich, im Begriff zu heiraten.
Natürlich verliebte sich auch Arne in Sonja. Es war unmöglich, sich nicht in sie zu verlieben, wenn man sie einmal beim Orgasmus erlebt und gespürt hatte, selbst Bernadette konnte sich dem nicht verschließen. Dass alle, alle Mitglieder des Rudels – selbst Arne – jünger waren als Bernadette, machte ihr schon zu schaffen. Aber da draußen, da weit vorne gab es für Bernadette eben nur noch einen Weg zu werden: die Anführerin, die Leitwölfin des Rudels. Die den Pfad bestimmte. Spuren hinterließ. Der man folgte, hinein in einen brüllend hellen Rausch der Raserei.
In die Zeit der ersten, noch tastenden, noch bekleideten Zusammenkünfte des Rudels fiel die Veröffentlichung von Arne Wohnhirts »erstem großem Roman«. Der Titel des Werkes war Besorgnis über Misshandlungen in Westeuropa , und es erschien in einer Auflage von 1800 Exemplaren bei einer unabhängigen Treptower Verlagsdruckerei. Im Grunde genommen war es ein kleines, erbärmliches Buch, genau die Art von Misshandlung, die der Titel enthielt, aber anders, als
Weitere Kostenlose Bücher