Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
Beben.
Sie wichen dem Wasserstrom aus, überquerten ein paar Grabfelder, vorbei an einer märchenhaften Miniaturabtei mit leuchtendgoldenem First. Durch ein versehrtes Säulentor erreichten sie den Zaun dieses verwunschenen Gartens, und in einer schon wieder heiteren Aktion kraxelten sie darüber.
Der Himmel war hell, die Sonne schien gemein. Dirk-Daniel war tot. Alles passte zusammen. Die Feindlichkeit des Sommers, die flache Heiterkeit vorbeiradelnder Ausflügler speisten Sonjas Hass. Sie hatte die Pest, war leprös, eiterte zwischen den Beinen, ihr Gang war stolpernd, ihr Hass von geradem Wuchs. Sie trug eine dicke Jacke, und darunter hatte sie die Ärmelenden ihres schwarzen Pullovers in den Handinnenflächen zusammengeknüllt. Sie fror, ihr war schlecht. Sie hatte Durst. Das Gelb des reifen Getreides ringsherum in diesem Stück ehemaliger LPG-Pflugscharscholle war das grausame Konzentrat gefühlloser Trockenheit.
Roggen und Weizen und Hafer und Mais. Widerlich warmer Wind. Sonja träumte von einem fetten, wasserlassenden Wanderer, von der Männerpisshalle des Münchner Oktoberfestes, von markierenden Kötern und sprenkelnden Stieren. Krämpfe des Hungers und der Furcht hielten ein unnachgiebiges Vibrato in ihrem Magen, das ihren Oberkörper ab und zu vornüber zwang. Sonja Zimmermann fiepte wie ein kleiner verlassener Hund. Der Drang zu töten spielte wie der Finger eines Mannes mit den Haaren in ihren Achselhöhlen. Als sie sich dort kratzte, war ihr Finger bräunlich nass. Sie strauchelte, fing sich, lachte. Dirk-Daniel war tot. Sie würden alle sterben, alle sterben.
Ihr kam ein Mann entgegen auf dem Weg, ein Mann, den sie sofort verstand. Er hatte eine Flasche Klaren in der einen und einen Strick in der anderen Hand. Ein Selbstmörder, beim Blut, ein Selbstmörder, hier, und ein so hübscher, junger noch dazu. Er trug nur eine Art Strickjacke über nackter Brust, und eine Breitcordhose, die so verwetzt war, dass die Cordstreifen kaum noch hervorstanden. Er hatte diesen eigentümlich schweren Gang der Tottragenden, sie ging lächelnd auf ihn zu. Wenn sie sich anstrengte, wenn sie die Augen zusammenkniff und zitternd die Witterung durch die Nüstern einholte, konnte sie seinen Schweiß riechen, das Blut, das unter seiner behaarten Haut tobte, und den goldenen Schatz Likör unter seinem Bauchnabel.
Natürlich bemerkte er sie, natürlich sah er her, starrte sie an, war angetan von ihr, war verunsichert von seinen Gefühlen. Sie gefiel allen Männern, hatte schon immer allen gefallen, ihr ganzes Leben lang, keiner konnte der fleischlichen Brillanz ihres Körpers widerstehen, erst recht jetzt nicht mehr, wo sie sich im Sterben anderer Menschen gewälzt und deren Vita vereinnahmt hatte. Sein Strickarm und sein Trunkarm hingen schlaff herab, er kippte fast vornüber. Seine Augen waren so intensiv, dass Sonja die Hand hob, um ihre eigenen dagegen abzuschirmen.
»Hallo Cowboy«, hauchte sie, »suchst du einen guten Baum zum Ruhen?«
»Schatten. Nur wenig Schatten, ja«, stammelte der Mann.
»Ich kann dir mehr geben als Schatten. Ich kann dir die verdammte Sonne nehmen.« Nach den letzten Worten war sie so nahe an ihn herangekommen, dass sie ihn ansprang. Sie hatte noch überlegt, dass es besser gewesen wäre, ihn in ein Gebüsch zu zerren und es jedenfalls nicht mitten auf dem Sonntagsfamilienweg zu tun, aber es hatte keinen Zweck mehr, sie konnte es nicht mehr zurückhalten, seine Jugend und Kraft und seine todesvertraute Aura stiegen ihr total zu Kopf und raubten ihr die Seele. Mit vorgestreckten Krallennägeln ging sie auf seine Augen los, aber er wehrte sie ab, trat ihr ein Knie in den Bauch und gelangte in ihren Rücken. Das Nächste, was geschah, war merkwürdig: Der Selbstmörderstrick legte sich um ihren Hals und wurde so fest zugedrosselt, bis Sonjas kreischend um sich schlagende Sinne in einer gelben Achterbahn aus Roggenähren zu liegen kamen.
Als sie wieder zu sich kam, war sie nackt. Sie war einem Sexgangster in die Hände gefallen, wie komisch.
Sie lag auf einer Art Lichtung mit Rücken und Hintern auf Schneidgras und verirrten Grannen und konnte sich nicht bewegen. Der Strick des Triebtäters war in zwei Teile geschnitten worden, und die eine Hälfte band ihre Handgelenke an einen jungen Apfelbaum, die andere Hälfte ihre Fußgelenke um den Stengel ein grünblühenden, alten »Naturschutzgebiet«-Schildes. Ihr Körper war dadurch in die Länge gestreckt, ihre blassen, abgemagerten Blößen
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