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Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Titel: Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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einschlugen. Er sah einen Mann auf einer Liege hocken, dem man wahrscheinlich ohne Narkose so viele innere Organe entnommen hatte, dass sein Bauchnabel direkt auf der Wirbelsäule auflag. Er sah eine weibliche Patientin auf nur notdürftig mit Klosettpapier verbundenen frischen Beinstümpfen über den schlierigen Boden kriechen. Er sah zwei dicke Pflegerinnen ungerührt über die universale Verwendbarkeit der Testikel eines neben ihnen stehenden Knaben fachsimpeln. Eine von ihnen hatte ein Skalpell in der Hand und furzte laut. Er sah eine Zellentür, aus deren Futterluke ein Arm hing, der so abgemagert war, dass der Zwischenraum zwischen Elle und Speiche transparent war. Der Arm lebte noch, er kratzte schwach mit viel zu langen Fingernägeln außen am Holz. Hiob ging hin und berührte ihn sanft. Der Arm verharrte erschrocken wie ein angestubstes Insekt, und Hiob hatte Gelegenheit weiter zu sehen.
    Er sah Diana in einer Art Pflegerzimmer schwankend und lachend mit zwei ebenfalls lachenden haararmigen Kerlen schäkern, denen die Geilheit schier aus den Hosenbeinen kleckerte. Er sah eine magere Gestalt in einem schlecht sitzenden SM-Gummmianzug um ein Grammophon herumtorkeln, das irgendeinen Teil irgendeiner italienischen Oper mit viel Percussion wieder und wieder eierte. Er sah einen Chefarzt mit dicken, verzerrenden Brillengläsern sanft über den Kopf eines hydrozephalitischen Kindes streicheln. Der Kittel des Chefarztes war vorne blutverschmiert. Er sah eine nackte dunkelhäutige Frau, dem Aussehen nach eine Prostituierte aus dem Carneval draußen, die an einem festgehakten Bein von der Decke baumelte und ab und zu von dagegenrempelnden Patienten oder Pflegern in schlenkernde Bewegung versetzt wurde. Die Frau lebte. Er sah einen pfeifenden Typen mit einem noch triefenden Gehirn unter dem Arm eine Treppe heraufkommen. Ein Pfleger mit qualmendem Zwiebelatem warf mit großer Geste Dartpfeile auf eine auf einem gynäkologischen Stuhl festgeschnallte Patientin. Zwei andere Pfleger spielten eine Art Flurhockey. Statt Schlägern hatten sie schlenkernde menschliche Arme in den Händen. Ein klitschnasser Patient saß mitten im Durchzug vor einem kleinen tragbaren Fernseher und starrte Werbespots an. In einem Bettenraum lagen mindestens drei verweste Leichen noch immer in ihren Träumen. Jemand sang mit schönem Bariton, eine Champagnerpfütze auf dem Boden spiegelte das Sichtbare, das, worauf Licht fiel und reflektiert wurde. Der Wasserkopf wurde angebohrt. Ein Skalpell fiel zu Boden. Ein Pfeil traf ins Schwarze. Ein Patient zeichnete mit beschäftigungstherapeutischen Wachsmalstiften ein Sarah-Kay-Bild an die Wand. Schreie, von überallher, und Gelächter.
    Hiob schloss die Augen und betete. Er betete zum Tarotschlüssel 16, zum Herrn der Tiefen, zu den Erfindern der Göttlichen Ausgleichenden Gerechtigkeit, zum konsequenten Untergänger Emeric Blackvale und zu den Marx-Brothers. Und er betete, dass all dies hier viel zu schrecklich, viel zu aberwitzig, viel zu böse, viel zu grotesk und viel zu satirisch übertrieben sei, um etwas anderes sein zu können als ein psychosomatischer Zwangssymbolismus seines nervenfiebernden, aufgeriebenen, selbstzerstörerisch depressiven Geistes. Außerdem: Wie sollte er eine ganze Irrenanstalt auslöschen? Das konnte doch nicht Widders Ernst sein. Seine Macht reichte vielleicht gerade einmal dazu, dem Ich-muss-Caligari-werden-Chefarzt den gummiartig feisten Hals abzuschnüren, aber das wär’s dann auch schon gewesen. Und ab ins Klapsmühltal yourself.
    Nein, er breitete die Arme aus und versuchte, in der röhrend-kichernd-brüllend-wiehernd-krächzenden Kakophonie dieser größten Schau der Welt, dieses Three-Ring-Circus, in dem die Ringe ein Zaubertrick waren und sich unlösbar ineinander verhakt hatten, sein eigenes, ganz persönlich nur an ihn handschriftlich addressiertes und mit einem saftigsüßen Schmatzer verschlossenes Prognosticon aufzuspüren. Er fand es und verdutzte.
    Es war gar nicht hier drin. Es war hinter dem Gebäude, irgendwo im abfalligen Ödland.
    Mit dieser Feststellung hatte er die letzten pfadfinderischen Emanationen von Dianas verseucht-angereicherter Blutkraft verbraucht und war von nun an auf sich allein gestellt. Diana? War gerade dabei, in der mit Pornoplakaten tapezierten Pflegerklause den guten alten HIV-Tango samt Abklatschen zu tanzen. Die Pfleger? Keiner beachtete ihn, so gut fügte er sich offenbar ins Gesamtbild. Die Patienten? Außer einem, der ihm

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