Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
Aber ich brauch halt einfach ’ne Kiste. Man ist so verfuckt langsam zu Fuß, wenn die Cops mit Blaulicht hinter einem her sind.«
»Hast du denn schon mal ’ne richtige Autoverfolgungsjagd abgezogen?«
»Klar, Mann. Dauernd. Oder was meinst du, warum ich schon wieder ’ne neue Kiste habe.«
»Das ist ’ne andere als letztes Mal?«
»Na klar, Mann. Ey! Der andere war viel kleiner und grün und japanisch, ist dir nicht aufgefallen, nein?«
»Ich hab keine Auge für diese Dinger. Kein Auge und kein Erinnerungsvermögen. Ich weiß nicht mal, wie ein Mercedes aussieht.« Mit bangem Seitenblick fügte er hinzu: »Wie hast du den anderen Wagen verloren?«
»Prenzelberg Richtung Mitte Mitternacht. Cops dicht hinter dem Equipment. Wir gerade noch weg, durch die sepialeuchtenden Säulenstraßen, um die ganzen Umleitungen rum. Irgendwann kam dann plötzlich eine funkensprühende, rußige Straßenbahn um die Ecke und schoss auf uns zu wie ein Wal. Kein Platz mehr zum Ausweichen, also ausgestiegen und weg. Die Glassplitter hab ich immer noch in den Haaren. So viel zu meiner alten Kutsche. Say goodbye to your artificial feet.«
»Count of Bones.«
»Yo. Hier bin ich.«
Seferi war ein Buccaneer. Er hatte mit ein paar Kumpels zusammen einen Piratensender namens DUST RADIO gegründet, der nachts von den Dächern des Prenzelbergs herab die akustikmedial nach dem Sterben von Radio 100 und dann auch Radio 4 U total verödete Hauptstadt mit seelenschmelzender Genialität bestrahlte. Wie viele andere junge Türken hatte sich Seferi – durch die Unmöglichkeit der Integration heimatlich-orientalischer Musikmuster in die westeuropäische Dancefloorkultur desillusioniert – der Black Music zugewandt, dem Blues, Jazz, Reggae, Funk und Hip-Hop, und hatte sich pfiffigerweise den Tenor des bislang originärsten weißen Bluesentwurfes der Neunziger Jahre – Chris Whitleys Living with the Law -Album – als Erkennungsmelodie auf die Skull and Crossbones -Fahnen geschrieben. Kamber war in Deutschland geboren, sprach fließend mehrere Sprachen, hatte sogar – sich aus dem Stallone- und Lundgren-geprägten Ghettovortex seiner Jugendfreunde befreiend – ein paar Semester in eine Uni reingeschnuppert, lange genug, um die dortige Verwirklichung von George A. Romeros Zombie-Thesen zu erkennen. Danach hatte er sich, türkisch von Aussehen und Glauben, vom Ausweis her deutsch, organisierter Bestandteil der Black Community und ab und zu auch noch Spendenmitglied der explizit kosmopolitischen amnesty international ganz der rebellischen Kultur verschrieben. Von den nächtlich dampfenden Dächern der neuen alten Stadtmitte aus improvisierte er in unregelmäßiger, durch In-Club-Handzettel vorangekündigter Folge bizarre Essays über die fiktive Westernstadt REBLIN und ihre Bewohner, alles natürlich eine surreal verfremdete Allegorie auf tatsächliche öffentliche oder verborgene Vorgänge in Berlin. Bootleg-Cassetten seiner Performances erzielten auf gewissen Börsen vierstellige Preise, bei VIDEODROM gab es eine Seferi-Lesung im Musikvideoregal, und somit war Kamber Yildirimel der Einzige in Hiobs Bekanntenkreis, der es zu etwas gebracht hatte.
»Sag mal, Habib« – die Seferis nannten Hiob Habib, weil Hiob zu israelisch klang –, »kennst du eigentlich schon den neuesten Fascho-Witz?«
»N-n. Aber sicher nicht mehr lange nicht.«
»Also gut, pass auf. Der schwule Kühnen kommt in die Hölle runter und muss da feststellen, dass Onkel Adolf ’ne vertrauensvolle Stellung als Torhüter gefunden hat. ’Ne ganze Wartschlange Skins hat sich da eingefunden und trippelt langsam voran. Kühnen stellt sich ordentlich deutsch hinten an. Der alte Adolf streicht jedem der Skins väterlich über die Rübe, murmelt dann immer so was wie ›Das ist ein rechter teutscher Jung‹ und lässt sie alle passieren. Als der schwule Kühnen bei ihm angelangt ist, fährt er auch ihm über Kopf und Stirn und krächzt dann: ›Also die Wulststirn hast du schon, aber volles Judenhaar, das können wir hier nicht gebrrrrauchen. Weggetrrreten!‹ Kühnen fleht noch ein bisschen, aber Uns Adolf bleibt hart wie Kruppstahl – für Juddezippel ist kein Reinkommen, und dass Kühnen deutsch genug ist, steht offensichtlich zu bezweifeln. Kühnen trollt sich heulend. Und keiner kann ihm helfen. Keiner hat ’ne Schere dabei oder’n Messer, nur’n paar Baseballschläger, und damit kommt man Haaren ja nicht so richtig bei. Kühnen reißt und rupft ein bisschen an seinem
Weitere Kostenlose Bücher