Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
den Stab mit der Linken ab und erhob sich schaudernd, ging durch den hallenden Mittelgang nach vorne zu den Altären, wo die Luft noch kälter war, buchstäblich von allen guten Geistern verlassen. Die Kerzentribüne der gläubigen Spender rechts war nichts weiter als eine Ansammlung lautlos glosender Hilferufe. Ja doch, wollte Hiob sagen, seht doch her, seht mich an, denn ich bin bei euch, seit der Welt Ende, und bin der Einzige, der euch noch geblieben ist. Aber er schwieg unter der klammen Höhe, vom Schmeicheln der Zugluft umgarnt.
»Du bist der Mann, dessen Name der eines Tages ist?«
Ein Flüstern von Fellen – jemand war hinter ihn getreten. Er wandte sich um.
Zwischen ihm und dem hohen, schmalen Kirchenschiff stand ein hünenhafter schwarzer Mann. Sein glänzender Körper war nackt, bis auf buschige Fuchs-, Steppenwolfs- und Dachsschwänze, die ihm von den Hüften, den Oberarmen und den Oberschenkeln herabhingen. Die Handgelenke waren mit Bündeln von unbearbeiteter, geschälter Schweinehaut geschmückt, auf dem Kopf trug der Mann einen Aufsatz aus langhaarigen Pavianfellen, von dessen Spitze gefärbte, lange Federbüschel herabflatterten. In der linken Hand hielt er aufgestützt einen langen dunklen Stab, auf den oben der mumifiziert glasierte Oberkörper eines kleinen Äffchens aufgepfropft war, die langen Arme leicht angewinkelt, den Mund klaffend weit gebleckt. Die Füße des Schwarzen waren zwar ohne Schuhe, aber mit Sternen und Streifen bemalt.
Hiob nickte. »Munsa, wie ich vermute?«
»König Munsa. König Munsa von den Mangbattu-Niam-Niam. Ich könnte noch hinzufügen: ›So viel Zeit muss sein‹, aber ich weiß, dass so viel Zeit ist, und zu viel Zeit in jeder Hinsicht für dich.«
»Extrem angenehm.« Kamber wäre bestimmt begeisterter gewesen von diesem wilden Mau-Mau-Destillat, Hiob jedoch störte ein wenig, dass die Mundbewegungen des Schwarzen nicht mit den akzentfrei deutschen Worten, die zu hören waren, übereinstimmten. Cecil B. NuNdUuN hatte mal wieder keine Kosten und Mühen gescheut, um für eine echte Wenzel-Lüdecke-Simultansynchronisation zu sorgen.
Mit einem raschen Blick auf die übrigen herumscharrenden Touristen überzeugte sich Hiob davon, dass offensichtlich keiner außer ihm den Schamanenfürsten sehen konnte.
Munsa betrachtete Hiob abschätzig. »Du wirst in der Zeit verloren gehen wie ein gestöhnter Liebesschwur, mein Kleiner. Nichts an dir kann dem Wesen der Zeit etwas entgegensetzen. Die Zeit kostet eher dich als du sie. Auch ich habe schon Menschen gegessen, die mehr Macht hatten als du.«
Hiob überlegte einen Augenblick und atmete tief durch. »Ich kann ja noch verstehen, dass NuNdUuN hier jemanden arbeiten lässt, gegen dessen Tischmanieren selbst McDonald’s koscher wirkt, aber hast du für eine Josephine-Baker-Tunte nicht ein wenig krumme Beine, Bimbo?«
Munsa zog die Augenbrauen hoch und schaute dann langsam, unter halb geschlossenen Augenlidern, nach vorne zum frontalen Buntglasfenster. Hiob folgte seinem Blick. Das halbe Äffchen drehte sich mit. »Ich werde dir jetzt eine Geschichte erzählen und dir dann eine Frage stellen«, sagte der König. »Die Geschichte: Ein junger Mann bekommt von einem gehetzt wirkenden Hausierer, dem die beiden vorderen Schneidezähne fehlen, ein rätselhaft verziertes Messer verkauft. Der Hausierer sagt noch, dass die Geschichte dieses Messers untrennbar mit dem vergossenen Blut eines Unschuldigen verbunden ist , aber noch bevor der junge Mann ihn näher befragen kann, ist der Hausierer bereits mit dem Geld verschwunden. Der junge Mann verleibt das Messer seiner Sammlung geheimnisvoller und antiker Gegenstände ein, aber aus irgendeinem Grund lässt ihn die Klinge nicht los. Dies ist kein Relikt, erfährt er in verschwitzten Träumen, das man als abgeschlossen behandeln kann, das zu den anderen Messern gehört, die kalt sind und tot, wie viel heißes Leben auch immer sie tranken. Der junge Mann hat das Gefühl, dass er unbedingt erfahren muss, welche Bluttat genau mit dem Messer verbunden ist, und so nimmt er es aus dem Samt, den er eigens dafür kaufte, und läuft damit durch die Stadt, von Freund zu Freund, Bekannten zu Bekannten, Spezialisten zu Spezialisten und Konkurrenten zu Konkurrenten, um über Herkunft und Werdegang der Waffe etwas in Erfahrung zu bringen. Man schickt ihn in Tempel und Scheunen, durch Keller und auf Dächer, damit er sich mit Menschen trifft, die ihm weiterhelfen könnten, doch keiner kann es.
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