Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Selbstüberschätzung. Dieser vollkommen aus der Luft gegriffene, jeglichen Fundaments entbehrende Narzissmus. Ich habe Spieler gesehen, die bei vier Punkten scheiterten, die besser waren als du.«
»Warum sind sie dann bei vier Punkten gescheitert?«
»Vielleicht weil sie die Größe hatten, meine Überlegenheit rechtzeitig anzuerkennen. Weil ihr Blick weiter reichte als nur bis zum nächsten kläglichen Punkt. Weil sie Kosten und Nutzen voneinander zu unterscheiden lernten. Weil sie erkannten, dass das Spiel mir keine lästige Pflicht ist, die mir von altertümlichen Gesetzesgebern aufgezwungen worden ist, sondern dass das Spiel nur einem einzigen Zweck dient: den Beherrscher des Fließes wieder und wieder in seinem Amt zu bestätigen, damit es niemals zu so etwas wie einer wirklich verheerenden Rebellion kommen kann.«
Hiobs Kopf begann, sich um sämtliche Achsen gleichzeitig zu drehen. Was erzählte NuNdUuN ihm da? Lockte er ihn honigreich auf falsche Fährten? Sprach er Wahrheiten aus? War er ehrlich zum Spieler? Vertraute er ihm, suchte er Vertrauen? Log er gnadenlos? War diese Verwirrung das Ziel? NuNdUuN konnte lügen und die Wahrheit sagen gleichzeitig, aus irgendeiner seiner vielfältigen Perspektiven war alles immer das eine und das andere im selben Moment. Völlig verfremdet, und dennoch immer als bekannt getarnt. Oder umgekehrt. Oder wiederum umgekehrt und immer so fort.
Die Frage, die Hiob sich übers Bett geheftet hatte, beantwortete sich in diesem Moment, in dieser Perspektive.
— Wenn NuNdUuN nicht mehr da wäre —
wäre sein Nachfolger dann schlimmer oder besser für mich?
Zweifelsohne besser.
Denn was für abscheuliche Charaktereigenschaften auch immer
der Nachfolger hätte —
er hätte nicht diese um 4500 Jahre veränderte Sichtweise.
Er wäre neu, vielleicht auch verwirrt, überfordert —
er wäre leichter zu verstehen, zu berechnen.
Ein verstohlener Seitenblick versuchte Hiob darüber Aufschluss zu geben, ob der Herrscher seine Gedanken lesen konnte. In NuNdUuNs ungerührter Miene war nichts dergleichen zu erkennen. Dann aber wiederum: Falls NuNdUuN Telepath war – brauchte er dann überhaupt physische Nähe, um Hiob lesen zu können? Konnte er das nicht sowieso immer, von überall aus? Brauchte er überhaupt eine Linearität der Zeit? Hatte er diese eben jetzt gedachten Gedanken Hiobs nicht schon immer lesen können, von Anbeginn seines Seins an?
Hiob brach kalter, salzarmer Schweiß aus. Er hatte das Gefühl, gleich einen Beklemmungsanfall zu bekommen, gleich nach Luft ringend wie ein Asthmatiker nach vorne zur Einfassung des Sprudeltümpels zu torkeln und über eine der schneereinen Märchenfiguren gekrümmt zu verröcheln.
Das war nicht diese Scheiße aus den alten Kindermärchen, wo der Bauer den Teufel mit unterirdischen und überirdischen Gemüsen übertölpeln konnte. Dieser Teufel war kein voraussagbarer Pappkamerad. Dieser Teufel war der unschlagbare Meister aller Klassen in Sachen Intrige, Lüge, Bosheit und Schläue.
Und er musste weg. Damit Hiob überhaupt eine Chance hatte, das Spiel wenigstens hochzuspielen, musste dieser Erzfeind abgeschossen werden. Hiob selbst konnte das nicht bewerkstelligen; um die dafür erforderliche Astralmacht anzuhäufen, hätte er erst das gesamte Spiel gewinnen müssen. Was er brauchte, waren ein unschlagbarer Plan und mächtige Verbündete an den richtigen Positionen. Von jetzt an würde er Tag und Nacht darüber nachgrübeln müssen ... eine wirklich verheerende Rebellion ... Damit ging es schon mal los: Diesen Gedanken, diesen Gedanken ganz konkret musste er sich aus dem Fleisch zwirbeln wie eine Zecke, denn er war ihm vom Meister selbst diktiert worden. Hiob hatte die Empfindung, aufreizend langsam durchzudrehen, aber es fühlte sich den Umständen entsprechend gut an.
NuNdUuN hatte geduldig gewartet, als hätte er schon im Voraus berechnet, wie lange Hiobs Ideen brauchten, um einen Boxenstopp einzulegen. »Du solltest dich von der Illusion befreien, dass das Spiel deine Privatsache ist« , sagte er mit tiefer Stimme. »Du bist kein Tennisspieler in einem klar umrissenen Centercourt. Unser Spielfeld ist die Welt, sowohl die materialistische als auch die Ebenen von Wieden. Und genau so, wie Millionen sogenannter Unschuldiger dein Scheitern werden ausbaden müssen, wenn du erst einmal verloren haben wirst, so ergibt es auch überhaupt keinen Sinn, wenn ich künstlich versuchen würde, eine isolierende und schützende Hand über
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