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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Theoretische Einblicke aus Folianten und ledernen Karten, und fast so etwas wie praktische Einblicke in Visionen und Gesichten nach dem Trinken reinsten Wassers, mit dem mein widerstrebender Großvater mich einmal im Monat versorgte. Keine Drogen. Reinigung lautete das oberste Gebot. Aszension und Deszension, denn das Oben ist das Unten, der Makrokosmos entspricht dem Mikrokosmos und umgekehrt. Ich lernte die Grundbegriffe der magischen Genesis, dass Nichts und Alles eins sind, weil Alles aus dem Nichts entsteht und Nichts bedeutender ist als Gott, der der Urknall ist und das Licht und die Ideensphäre, die uns unsichtbar umgibt, das Wiedenfließ. NuNdUuN.
    Ich studierte die vielen Weltbilder, die Irrwege waren. Geozentrik, Solarzentrik – alles Quatsch, weil im Materiellen kein Zentrum sein kann. Und ich staunte über die vielen Ansätze und Ahnungen der Tatsächlichkeiten schon in altertümlichster Zeit. Bilder der Inneren Sonne. Eine beseelte Natur, mit Göttern in jedem Tier. Visionen von mehreren Erden. Alchemie als metaphorische Maskerade eines geistigen Vervollkommnungsprozesses, einer angestrebten Gottwerdung. Das sich in vielfältigen Sprachen und Systemen ausdrückende unbestimmbare Sehnen des Fleisches nach Ewigkeit und Erkenntnis. Die Wahrheit ist nicht irgendwo da draußen, Agent Mulder, weil es nicht eine Wahrheit gibt und weil da draußen gleich hier drinnen ist.
    Ich sah Karten des Wiedenfließes, die einander ähnelten, obwohl sie in unterschiedlichen Jahrtausenden auf unterschiedlichen Kontinenten entstanden waren und auch unterschiedliche Namen und Bedeutungen trugen. Ich las Berichte und sah Illustrationen eines Ewigen Herrschers, den einige den Vielen nannten und viele den Einen. Ich sah Religionen und Kulturen aufflackern, flächenbrennen und verschmoren, die nichts weiteres waren als verzweifelte Versuche, einen einzigen Schritt voranzukommen.
    Eins fiel mir besonders auf: Immer wieder auftauchende Zeugnisse von Männern und Frauen, die einen Kampf kämpften, für den es keine irdische Belohnung zu geben schien. Ein Drachentöter hier, ein Exorzismus dort, die Verbrennung eines Dorfes, ein ritueller Mord, Predigten mit mysteriösem Inhalt, Prüfungen und Aufgaben, vermeintlich ohne Sinn und dennoch mit eisernem Willen vorangetrieben. Diese Einzelnen, die in allen Jahrhunderten auftauchten, wurden mal als Wahnsinnige, dann wieder als Erleuchtete bezeichnet, und sie alle starben irgendwann vor ihrer Zeit eines gewaltsamen und rätselhaftes Todes. Und jedesmal war im Geschichtsbuch der Menschheit eine bedeutende Katastrophe verzeichnet, kaum dass so ein Verrückter gestorben war.
    Ich erkannte ein System.
    Ich war dem Spiel auf der Spur.
    Wenn man erst einmal weiß, wonach man zu suchen hat, lernt man, Hinweise und Querverbindungen neu und diesmal richtig zu deuten. Indem ich mehrere mittelalterliche Handschriften nebeneinanderlegte und die großverzierten Initialbuchstaben hintereinander abschrieb, erhielt ich die einfachen Spielregeln:
    Habest du genygendt erlerneth zu reden mit dem Beherrscher
    So werde darselbst der Beherrscher
    Achtundsiebenzig seyen das Ziel
    Eynen giebt das Prognostico
    Dreye giebt die Manifestatio
    Siebene giebt die Inundatio
    Scheyterst du seyen die Annzahl des Thodess
    Ähnliche Formulierungen kehren immer wieder, wenn man danach zu suchen gelernt hat, meistens verkleidet als Anleitungen für bestimmte Spielarten des Tarot, denn achtundsiebzig Karten gibt es im Tarot, aber eben genau deshalb. Das Spiel definierte das Tarot, nicht umgekehrt. Die Karten wollen Spiegelbilder sein der vielfältigen Geschehnisse im größten Spiel auf Erden und im Kosmos, und oft genug sind sie es anscheinend auch.
    Ich erfuhr mehr, denn ich lernte intuitiv, Hinweise und Winke zu verstehen.
    Ein Prognosticon ist ein Vorbotenereignis, ein düstermagisches Geschehen, das eher den Charakter eines Wetterleuchtens in weiter Ferne als den eines wirklichen Unwetters hat – obwohl ich mittlerweile aus eigener Erfahrung weiß, dass selbst das Auftreten eines höherstufigen Dämons wie Ruprecht noch unter den offensichtlich weit dehnbaren Prognosticonsbegriff gefasst werden kann. Eine Manifestation ist eine tatsächliche Entladung, meist in Form eines in massive Aktion tretenden höheren Wesens aus dem Fließ. Die einzige Manifestation, die ich bislang miterlebt habe, war ein Sterblicher, der durch unfassbare Erfahrungen im Ersten Weltkrieg in eine magische, malevolente Entität verwandelt wurde, die

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