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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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dermaßen machtgebündelt war, dass ich nicht einmal hoffen konnte, sie auch nur ankratzen zu können. Ich schickte sie damals gegen NuNdUuN selbst und somit in den Tod. Einer meiner besten Tricks bislang.
    Eine Inundation habe ich bisher noch nicht initiiert gesehen und möchte mich vorerst auch sehr davor hüten. Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff »Überflutung«. Man munkelt, der Feuersturm von Dresden 1945 sei eine Inundation durch tanzende Flammenreiter gewesen. Kein Bedarf an so was. Noch nicht.
    Der letzte Satz des mittelalterlichen Siebenzeilers – »Scheiterst du seien die Anzahl des Todes« – ist in verschiedenen Versionen verschiedentlich interpretiert worden. Einige schrieben, ein Spieler, der bei sechs Punkten scheitert, zieht sechs unschuldige Opfer mit sich. Einige schrieben, die Opfer seien immer die Menschen, die dem Spieler im Leben am nächsten gestanden haben. Einige schrieben, mit »die Anzahl« sei ein Vielfaches der erreichten Punktsumme gemeint, das Hundertfache, vielleicht sogar das Tausendfache. Letzteres erschien mir am glaubwürdigsten, denn es erklärte die Katastrophen, die mit dem Scheitern von Spielern zusammenhängen. Jedenfalls war klar: Je weiter ein Spieler es gebracht hat im Spiel, desto verhängnisvoller für die Restwelt wird sein Stürzen sein. Geniales System. Das Fließ kommt so immer auf seine Kosten.
    Mich faszinierte dieser Preis, den man bereit sein musste zu zahlen. Das ganze Spiel war ein Abstraktum. Man spielte nicht um sich selbst, sondern um die Seelen anderer. Im Sieg profitierte die Welt, in der Niederlage wurde sie geprügelt. Der Spieler selbst schien es relativ einfach zu haben: Er ging durch die Hölle und wusste damit immerhin, woran er war.
    Dies war die größte Geschichte aller Zeiten, die größte Möglichkeit, die einzige Chance, die ein einzelnes menschliches Individuum hatte, das Rad des Schicksals tatsächlich in eine bessere Richtung zu drehen. Beherrscher des Wiedenfließes zu werden bedeutet, die ungeheure Machtfülle aller spirituellen Essenzen kreativ und nützlich verwalten und verwenden zu können. Die Tradition des dumpfen NuNdUuNschen »Im Vergleich zu mir war Hitler nur ein Lämmchen« kann durchbrochen werden. Die üblen Energien können dem Guten zugeführt werden, dem Schützenswerten. Den brennenden Regenwäldern, der Ozonschicht, den brachliegenden Gehirnen der Politiker und Wichtigen, den aussterbenden und gefolterten Tieren, den Kindern, den Behinderten, den Armen. Alles ist möglich. Jeder Traum wird wahr. Jeder, der den Preis zu zahlen bereit ist, kann das schaffen. Ich lernte plötzlich wieder, an etwas zu glauben, ein Ziel zu haben. Das größte, ehrgeizigste, wahnwitzigste Ziel von allen, das, worüber man sonst nur Witze macht: die Rettung der ganzen Welt. Und – schlag nach bei Dante: den steilen Weg der Dornen schlug ich ein ...
    Am Anfang war ...
    ... das mühselige Durchexerzieren von schwierigen Beschwörungsformeln.
    Im zweiten Jahr meiner Kasteiungsklausur durfte ich bei Vollmond raus, also nutzte ich die Chance, die Geister der umliegenden Friedhofsleichname zu beschwören. Meistens kam dabei trübes Gesäusel raus, aber zweimal gelang mir ein nackerter, spinnerter Reigen mit ätherischen Wesenheiten aus elektromagnetischen Restemissionen, zwischen kühlen Grabsteinen und unter alten Bäumen.
    Unten, in meiner guten Gruft, begann ich so langsam, Kontakt mit dem Fließ aufzunehmen. Man kann sich kaum vorstellen, wie viel ungerichtete Astralenergie in der Welt ist. Jeder Baum – besonders die Wurzeln – strahlt so eine Art Elmsfeuer aus, nur dass es das Gegenteil von Feuer ist, es macht dunkler, ist kühl und kann genutzt werden, Dinge zu rekonstruieren. Der ganze Globus ist ein andauerndes Brummen, ein planetarer Walgesang, ein millionenfaches Orchesterstimmen. Je hellhöriger man für diese Emanationen wird – und »Hören« ist nicht der Sinn, der gemeint ist –, desto wahnwitziger wird diese Fülle, dieser Überfluss, diese Entropie, dieser Luxus eigentlich, Energien wie diese ungenutzt umherschwirren zu lassen. Es gibt zu wenig Magier heutzutage, aber umso mehr Potenzial bekommt jeder von ihnen an die Hand. Rohmaterial im Überfluss, wo gibt’s das sonst schon?
    Der Trick ist, dass all dieses ungerichtete Rauschen in Wirklichkeit Teil des Wiedenfließes ist, denn das Wiedenfließ ist alles , was nicht materiell ist. Also muss man sich konzentrieren und ritualisieren, sich selbst umpolen und neu

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