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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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schieben. Er schob seine ganze Hand und dann den Unterarm in Aydins Rachen. Der Rachen schwoll zu fast saurierhaften Proportionen an und gab somit Laut, dass er bereit war, genommen zu werden. Das war der richtige Eingang.
    Hiob zwang das Maul mithilfe der anderen Hand so weit wie möglich auseinander und tauchte mit Kopf und Schultern hinein wie ein angetrunkener Dompteur. Da drin war nicht das rote Fleisch, nicht die Zunge und nicht die Speichelliter, die eigentlich zu erwarten waren. Da drin war vielmehr ein Gestrüpp aus Ranken, die teilweise wie Holzscheite, teilweise aber auch nur wie Glasnudeln waren. Hiob wühlte sich mit den Händen hindurch und schaufelte und strampelte sich langsam mit dem ganzen Körper in den Traum-Aydin rein. Mehrere Meter kroch er durch eine derart zugewachsene Röhre, dass er seinen störend manifesten Körper wie ein Schlangenmensch verbiegen musste, um voranzukommen. Am Ende der Röhre erreichte er eine haarige Wand, die von einer schlecht vernähten, mannshohen Längsnarbe verunstaltet war. Unschwer war das als die vergrößerte Brustseite des Bären zu erkennen. Hiob war fast dankbar dafür, dass er, um hierher zu gelangen, nicht vorher noch durch ein Meer aus Spucke hatte kraulen müssen.
    Mit beiden Händen versuchte er, die Wandnarbe auseinanderzureißen, und als das nicht so richtig funktionierte, knabberte und biss er mit den Zähnen so lange auf den Nähten herum, bis sie endlich nachgaben. Es war alles in allem eine ziemlich mühselige und demütigende Art, in jemandes Traumwelt einzusteigen.
    Hiob zwang die Narbe weit genug auseinander, sodass er sich hindurchquetschen konnte. Dahinter war erst mal überhaupt nichts, dann setzte ein eigenartiges Gefühl ein, eine Art Abwärts-Fahrstuhl mit ruckartigen Zwischenstopps. Hiob konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er in einer Art Speiseröhre langsam runtergewürgt wurde, und er umklammerte die Stimmgabel jetzt mit beiden Händen, wie der Protagonist in einem Vampirfilm ein Kruzifix umklammert hätte. Schließlich hatte auch diese brechreizende Phase ein Ende. Hiob spürte, dass er angekommen war.
    Die Landschaft, in der er sich jetzt befand, war seltsam, die Farben so ausgebleicht, dass sie fast schwarzweiß wirkten. Spitzgiebelige Fachwerkhäuser waren so in sich verkrümmt, dass ihre Wetterhähne schon wieder den Boden berührten. Straßen, die absurd steil zuliefen oder aber nach hinten hin breiter wurden, irritierten mit Beleuchtungseffekten, die als unregelmäßige Sterne unter Laternen einfach nur aufgemalt waren. Kein einziger rechter Winkel war irgendwo zu sehen. Bäume waren totempfahlähnliche Stümpfe. Türen und Fenster saßen wie ausgefranste Schrotschusswunden in den Fassaden. Im Hintergrund floss eine desolate Hügellandschaft in die Szenerie wie eine von Dalis geschmolzenen Uhren. Kein einziger Mensch war zu sehen.
    Dies war Haarmanns Alt-Heidelberg. Rothenburg für Schizophrene. Die XXX-Version von Disneyland.
    Dies war Holstenwall.
    Hiob erkannte es wieder. Nicht eins zu eins das Holstenwall aus dem Film, den er schon so oft gesehen hatte, aber doch eine ziemlich konsequente Ausdeutung und Fortführung davon. Dies hier war größer, nicht nur auf ein paar wenige Ansichten beschränkt, faszinierend anzuschauen und zu durchschreiten.
    Da Aydin hier irgendwo stecken musste, vielleicht verirrt in den labyrinthischen Gässchen, über denen die Dachfirste gegeneinanderschlugen wie Wellen aus Eis, vielleicht auch nur sabbernd zu Boden gegangen angesichts einer Hausfront, die sich wie ein verzerrter Sittenstrolch zu ihm nach vorne beugte, streifte Hiob kreuz und quer durch die Gegend. Was bedeutete es, dass das hier eine Stadt aus seiner eigenen Erinnerungswelt war? War das hier immer noch sein Traum? War er irgendwo falsch abgebogen?
    Hiob zwängte sich durch eine Allee, die wie ein V geformt war, sodass der spitze Winkel an seinen Füßen ihm fast die Knöchel brach. Mit eingeknickten X-Beinen schaffte er es schließlich, sich auf den beiden schräg zulaufenden Seitenwänden vorwärtszuschieben. Danach überquerte er einen holperigen Platz und lief gegen eine Mauer, die mit einer Straßeneinmündung bemalt war. Für eine Weile konnte er nicht einmal mehr die Gasse finden, durch die er gekommen war, dann gelangte er durch eine rautenförmige Tür und eine stufenlose Aufwärtsrampe in ein Stoppelfeld, das mit krummen Gartenzaunsegmenten bewachsen war. Hier schließlich fand er Aydin Ince. Der junge Mann

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