Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
Schluck aus einer Grappaflasche. Schön war keine dieser Varianten, denn er würde Sabrina ganz nahe sein, ihren Atem hören, ihre Haut riechen. Einen Menschen im direkten Körperkontakt vorsätzlich umzubringen erforderte große Überwindung, das wusste er spätestens, seit er in der Klinik wie ein Idiot immer wieder um ihr Bett herumgeschlichen war, so lange, bis Sabrina schließlich aufwachte. Aber alle Versuche, sie aus sicherer Entfernung zu töten, waren jämmerlich gescheitert. Und jetzt? Die Uhr lief ab. Irgendwann würde sich Sabrina erinnern, und dann war alles vorbei.
Er nahm erneut einen Schluck vom Grappa. Dann betrachtete er seine Hände. Sie waren kräftig, wie bei allen Männern, die im Weinberg arbeiteten. Er könnte sie auch mit bloßen Händen erwürgen, kein Zweifel, am besten von hinten, damit er ihr nicht ins Gesicht sehen musste. Aber würde er es wirklich fertig bringen? Wie lange musste man zudrücken? Eine Minute, zwei oder drei? Nein, mit der Drahtschlinge wäre es zweifellos am einfachsten. Einmal von hinten um den Hals gelegt und kräftig zugezogen, aus und vorbei. Die Axt war viel zu blutig, er war ja kein Schlächter. Nun gut, mit dem Messer würde es auch gehen, scharf genug war es. Entweder ein tiefer Stich zum Herzen oder die Halsschlagader.
Ihm wurde fast übel, als ihm bewusst wurde, worüber er so intensiv nachdachte. Was war aus ihm geworden? Ein Monster? Er sah hinüber zum Campanile, der sich hinter dem Hotel gegen den Abendhimmel abzeichnete. Kein Priester würde ihm je seine Sünden vergeben. Und an der Himmelspforte würde man ihn abweisen und ihm den Weg in die finstere Verdammnis zeigen. Aber was interessierte ihn das Jenseits, zunächst musste er im Diesseits klarkommen.
Durch ein Fernglas beobachtete er Sabrinas Hotelzimmer. Es brannte Licht, ab und zu sah er einen Schatten hinter dem Vorhang. Er stellte die Schärfe genauer ein. Der Vorhang bewegte sich leicht in der Zugluft, das Fenster war offenbar nur angelehnt. Er atmete tief durch. Sabrinas Zimmer war zwar nicht ebenerdig, aber der Eingang ging nach außen auf eine schmale Terrasse. Und von dort waren es nur wenige Stufen.
Er zog eine alte Skimütze über den Kopf, für die Augen hatte er Löcher hineingeschnitten. Jetzt die Handschuhe. Er nahm den Draht aus der Tasche, wickelte ihn um die Hände und spannte ihn. Ja, so würde es gehen. Und zur Not hatte er immer noch das Messer. Die Axt würde er liegen lassen.
Er warf einen Blick zum Himmel. Eine Wolke hatte sich wie auf Bestellung vor den zunehmenden Mond geschoben. Der ideale Zeitpunkt schien gekommen.
Schon wollte er aufstehen und gebückt losrennen, da nahm er plötzlich blaue Lichtreflexe wahr. Sie kamen von hinten, von der Straße. Sie wurden immer heller. Nun hörte er ein Motorengeräusch, dann scharfes Bremsen. Das Einsatzfahrzeug der Carabinieri hielt direkt neben dem kleinen schmiedeeisernen Tor bei Sabrinas Eingang. Das Blaulicht wurde abgestellt. Zwei Männer stiegen aus. Einer sah sich auf der Straße um, der andere öffnete das Tor, ging über die Terrasse zu ihrer Zimmertür, vergewisserte sich, dass die Nummer stimmte, zog einen Gartenstuhl heran und setzte sich. Es sah ganz so aus, als ob er die Nacht über bleiben würde.
Obwohl ihn die beiden Carabinieri nie und nimmer sehen konnten, hatte er sich tief unter den Strauch gekauert. Er zitterte, dabei war ihm gar nicht kalt. Schließlich musste er weinen. In seine Skimütze rannen Tränen der Verzweiflung, der Hoffnungslosigkeit.
67
H ipp war mit der Ape hinunter ans Meer gefahren. Während er tagsüber den Strand nach Möglichkeit mied, jedenfalls in den Sommermonaten, mochte er es, spätabends barfuß und alleine am Wasser spazieren zu gehen, sich in einen der verwaisten Liegestühle zu legen, hinaus aufs dunkle Meer zu sehen und dem Rhythmus der Brandung zu lauschen. Er hatte eine Flasche Rotwein mitgebracht, auch ein Glas, das er jetzt bedächtig füllte. Er bohrte die Flasche in den Sand, nahm einen Schluck, stellte das Glas auf die Armlehne des Liegestuhls – und dachte nach. Was nur um Himmels willen hatte Sabrina veranlasst, statt nach Hause zu ihrem Vater ins Piemont zu fahren, ihn am Telefon schamlos zu belügen, von einer New Yorker Freundin namens Angelina zu erzählen, die höchstwahrscheinlich gar nicht existierte? Ging es ihr wirklich nur darum, ihr Gedächtnis wiederzuerlangen? Glaubte sie dies im Piemont und ohne seine Begleitung besser erreichen zu können? Hatte er
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