Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
geträumt, der auf sie zuflog, sah Gianfranco, wie er mit dem Gewehr auf sie anlegte, glaubte das Holz des Astes zu riechen, an den sie sich verzweifelt klammerte. Und immer wieder war auch Hipp in ihren Träumen vorgekommen, der ihr eine Strafpredigt hielt. Mehrfach war sie in der Nacht aufgestanden, hatte sich kalt abgeduscht, dann wieder unter der Decke verkrochen und das Kissen über den Kopf gezogen.
Es war acht Uhr am Morgen, als das Telefon auf ihrem Nachttisch läutete. Maresciallo Viberti? Fabri? Zu ihrer großen Überraschung meldete sich Hipp. Nein, die Strafpredigt aus den Träumen ersparte er ihr, auch wenn er sich enttäuscht zeigte, dass sie ihn angelogen hatte. Aber bevor sie versuchen konnte, ihr Tun zu rechtfertigen und ihn um Entschuldigung zu bitten, fuhr er im Gespräch einfach fort, bat sie, jetzt genau zuzuhören. Er sei auf dem Weg zu ihr, berichtete er, nur noch zwanzig Kilometer bis Genua. Was er im Folgenden erzählte, ließ sie erschaudern. Zunächst konnte sie es nicht glauben, so absurd schien der Gedanke. Darauf wäre sie nie und nimmer gekommen. Oder vielleicht doch, hätte sie sich nur erinnert. Gianfranco …? War das wirklich möglich? Hipp zählte ihr eine Kette von Indizien auf, zerstreute Punkt für Punkt alle Zweifel. Um dann zu sagen, dass dies alles nur eine Theorie sei und nicht zwingend stimmen müsse. Was ihre Verwirrung endgültig perfekt machte. Dann erläuterte Hipp, was er vorhabe, und gab Anweisungen, wie sie sich zu verhalten habe. Mit ruhiger Stimme, fast im Plauderton – aber keinen Widerspruch duldend.
Sabrina hatte den Hörer aufgelegt und saß zitternd auf dem Bett. Plötzlich war sie froh, dass zwei Carabinieri auf sie aufpassten. Vor Tagen hatte Hipp mal von ihrem Schutzengel gesprochen und dass man diesen nicht überfordern dürfe. Wenn das stimmte, was Hipp gerade erzählt hatte, dann hatte sich ihr Schutzengel wirklich angestrengt. Wobei sie hoffte, dass er noch einige Stunden durchhalten würde.
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N achdem er mit Sandros Lancia bei Savona Richtung Turin abgebogen war, griff Hipp erneut zum Handy. Er erreichte Fabri beim morgendlichen Cappuccino mit seiner Mutter. Fabri zeigte sich erleichtert, dass Hipp von Sabrinas Anwesenheit im Piemont erfahren hatte. Er habe es von Anfang an befürwortet, ihn zu verständigen, aber Sabrina habe es nicht gewollt. Ob Fabri heute Zeit habe, sich mit ihm zu treffen, wollte Hipp wissen. Er würde gerne über Gianfranco reden. Er sei da auf eine Idee gekommen, die alles in einem anderen Licht erscheinen lasse. Fabri wollte umgehend Näheres erfahren, aber Hipp vertröstete ihn auf später. Da Hipp ungestört mit ihm sprechen wollte, vor allem ohne seine Mutter, für die das alles nur schwer zu ertragen war, verabredeten sie sich in der Cantina. Fabri sagte, dass er sich freuen würde, wenn Sabrina mitkäme.
Etwa an der Grenze zwischen Ligurien und Piemont, auf der Höhe von Montezemelo, erreichte Hipp Maresciallo Viberti. Dieser berichtete, dass der Lastwagen mit der exklusiven Fracht – Viberti konnte sich ein hämisches Kichern nicht verkneifen – soeben das Castello bei Alba verlassen habe. Wahrscheinlich komme ihm der Lkw demnächst entgegen. Es frage sich nur, ob dann noch der ursprüngliche Fahrer am Steuer sitze. Wieder ließ Viberti ein vergnügtes Lachen hören. Jedenfalls habe er alles im Griff. Der Helikopter sei in der Luft. Dem Lkw würden in gebührendem Abstand diverse Zivilfahrzeuge folgen.
»Tutto a posto«, sagte der Maresciallo, »nessun problema, Professore!« Er mache jetzt eine Passeggiata zur Piazza Risorgimento, trinke im Caffè Calissano* einen Latte macchiato und warte »tutto rilassato« die weiteren Ereignisse ab.
Hipp bedankte sich für die Bereitstellung der beiden Carabinieri zum Schutze von Sabrina. Was Viberti veranlasste, erneut die völlige Überflüssigkeit dieser Maßnahme hervorzuheben.
Hipp unterbrach ihn. »Maresciallo, mi dispiace, aber ich bin entschieden anderer Ansicht.« Dann berichtete er ihm von seiner neuen Theorie. Hipp führte die wichtigsten Argumente an und erläuterte seine Schlussfolgerungen. Als er fertig war, wartete er auf eine Reaktion. Aber die Verbindung blieb stumm.
»Maresciallo Viberti, sind Sie noch da?«
Statt einer Antwort hörte Hipp einen heftigen Hustenanfall. Dann war es wieder still.
»Viberti, nun sagen Sie doch was!«
»Non ci credo. È incredibile! È assurdo!«, verlieh Viberti seinem Zweifel vehement Ausdruck.
»Aber möglich wäre
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