Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
zittere ich am ganzen Körper.«
Wenige Minuten später saßen sie schweigend auf dem kleinen Hügel. Hipp hatte seinen Arm um Sabrinas Schultern gelegt. Sie hörten Sirenen, die näher kamen. Ein Hubschrauber setzte über ihren Köpfen zur Landung im Hof der Azienda Agricola an. Dann war es wieder ruhig.
»Fabri, er war immer freundlich, lieb zu seiner Mutter, charmant und höflich. Wie ist es nur möglich, dass so ein feiner Mensch erst seinen Vater tötet, dann Eva-Maria, Margherita – und um ein Haar auch mich? Ich kann es einfach nicht verstehen.«
»Wie das möglich ist? Fabri hat es uns doch gerade erzählt. Ich glaube, er hat die Wahrheit gesprochen, jedenfalls hatte ich es mir genauso vorgestellt. Gianfranco hatte einen aufbrausenden Charakter, wurde leicht handgreiflich, dafür war er bekannt. Mit seinem wütenden Angriff auf Fabri nahm das Verhängnis seinen Lauf. Wenn man so will, trägt der Vater die erste Schuld. Zunächst war es eine Verkettung von unglücklichen Umständen. Die tödliche Notwehr. Die Tatsache, dass ihr beide die letzten Sekunden beobachtet habt. Der Verkehrsunfall. Eva-Marias Genickbruch. Dein Schädel-Hirn-Trauma. Und dann? Fabri hat verzweifelt nach einem Ausweg gesucht, fühlte sich in eine Situation gedrängt, in der er etwas tun musste, was ihm zutiefst widerstrebte. Aber er glaubte keine andere Wahl zu haben. Das war ein tödlicher und unverzeihlicher Irrtum.«
Der Hubschrauber war wieder gestartet. Er kreiste jetzt über einem nahe gelegenen Waldstück. Weitere Sirenen waren zu hören. Auf dem Fußweg tauchten Polizisten auf, die auf sie zurannten.
»Haben Sie ihn gesehen?«, rief der erste. »Ist er hier vorbeigekommen?«
»Wer soll hier vorbeigekommen sein?«, fragte Sabrina.
»Fabri Angelo.«
»Aber Fabri ist doch …«
»Er hat simuliert, es war kein Gift im Glas«, gab ihnen der Polizist eine knappe Erklärung. »Fabri Angelo hat Maresciallo Viberti niedergeschlagen und ist geflohen. Sie haben ihn also nicht gesehen?«
»Nein, haben wir nicht.«
»Zwei Mann rechts runter zum Wald. Der Rest mit mir.«
Sabrina sah Hipp bestürzt an. »Fabri hat simuliert? Es war also kein Zyankali im Glas?«
»Doch, in unseren Gläsern garantiert. Kein Barbaresco dieser Welt riecht so intensiv nach Mandeln.«
»Aber er hat alle drei Gläser aus ein und derselben Flasche gefüllt. Daran kann ich mich genau erinnern.«
»Stimmt, und demnach war das Zyankali nicht in der Flasche. Fabri muss vor unserem Kommen die Gläser präpariert haben. Zyankali ist nichts anderes als Blausäure und in gelöster Form fast farblos. Deshalb hätte er auch ganz entspannt mit uns anstoßen können.«
»Wusste er, das ich mitkomme?«
»Er hat mich am Telefon ausdrücklich darum gebeten und es wohl inständig gehofft.«
»Nicht, weil ich ihm so sympathisch bin, sondern um mich zu töten …«
»Um uns zu töten«, korrigierte Hipp. »Und wenn’s mit dem Wein nicht klappen sollte, dann halt mit der Schrotflinte.«
»Er hat uns alle getäuscht. Der Versuch, sich umzubringen, war angesichts der Ausweglosigkeit seiner Situation gut nachvollziehbar, sein Zusammenbruch so überzeugend …«
»Ja, Fabri hat erstaunliche schauspielerische Qualitäten. Aber was mich noch mehr beeindruckt, ist sein Improvisationstalent.«
Sabrina faltete die Hände. »Fabri lebt. Geht jetzt alles wieder von vorne los?«
»Was soll von vorne losgehen? Sabrina, entspann dich, es ist vorbei. So oder so. Es gibt für Fabri keinen Grund mehr, dich zu verfolgen, dir nur ein Haar zu krümmen. Die Wahrheit ist ans Licht gekommen. Jetzt geht es für ihn nur noch darum, seine Haut zu retten und sich der Verhaftung zu entziehen.« Hipp deutete auf den Hubschrauber. »Was ihm nicht leicht fallen wird.«
»Es ist vorbei? Wirklich? Bist du dir sicher?« Sabrina fiel es schwer, ihm zu glauben.
Hipp gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ja, ich bin mir sicher. Es ist vorbei, alles ist vorbei.«
Epilogo
A uf dem Tisch stand eine fast geleerte Flasche Barbaresco Vürsù Starderi von La Spinetta*. Hipp und Sabrina saßen im La Ciau del Tornavento*, einem Ristorante in Treiso mit traumhaftem Ausblick und vorzüglicher Küche. Erst einige Stunden lagen die aufregenden Ereignisse in der Azienda Agricola Angelo zurück. Fabri war noch immer auf der Flucht. Maresciallo Viberti hatte sich von seinem Niederschlag erholt. Von ihm wusste Hipp, dass sich Dr. Friedrich von Lausitz und Serafino Panepinto in Untersuchungshaft befanden. Auch
Weitere Kostenlose Bücher