Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
Zugmaschine und der unverfänglichen Beschriftung »Fratelli Calprano. Olio extra vergine« war bereits von der Superstrada Numero 2 abgebogen und fuhr von Torrenieri die letzten Kilometer hinauf nach Montalcino. Gemeinsam mit Panepinto, der schon vor einer Stunde eingetroffen war, erwartete Dr. Lausitz freudig erregt die kostbare Lieferung. Nicht nur auf die Kisten mit den exklusiven Weinen war er gespannt, besonders interessierte ihn die Sammlung antiker Weingläser. Bald würde er wie einst Botticelli aus einem Kelch der Medici trinken. Oder er würde ein schweres, goldverziertes Glas in den Händen halten, das im 16. Jahrhundert Papst Klemens VII . gehört hatte. Was wäre das für ein schöner, geradezu perfekter Tag, wäre da nicht die höchst bedauerliche Tatsache, dass sich die Tenuta del Leone wohl tatsächlich seinem Zugriff zu entziehen schien. Von der Banca Agricultura hatte er von einem bemerkenswert hohen Zahlungseingang erfahren, der die akuten Liquiditätsengpässe mehr als behob. Und aus Mailand hatte sich ein junger Rechtsanwalt namens Dr. Balducci eingefunden, der eine beträchtliche Dynamik entwickelte, bereits beim Bürgermeister war, beim Katasteramt, bei Luca im Krankenhaus, bei Mira. Offenbar gab es einen finanzstarken Investor, der sich an der Tenuta beteiligte. Den Namen hatte er noch nicht herausgefunden. Auch war ihm bislang keine Idee gekommen, wie er diesen Deal verhindern könnte.
Der Fahrer hatte den Sattelzug hinter die kleine Lagerhalle rangiert. Lausitz beobachtete, wie die hydraulische Heckklappe geöffnet wurde. Ein Handhubwagen wurde unter die erste Palette geschoben. Lausitz entdeckte auf den Kisten das eingebrannte Rhinozeros von Albrecht Dürer, wobei er wie jeder Weinkenner sofort die berühmte Kellerei La Spinetta* der Brüder Rivetti im piemontesischen Castagnole delle Lanze assoziierte. Lausitz dachte gerade an den grandiosen Barbaresco Vigneto Starderi, da überstürzten sich die Ereignisse. Hinter den Kisten kamen im Lastwagen martialisch aussehende Beamte einer Spezialeinheit der Carabinieri zum Vorschein, die ihre Schnellfeuerwaffen im Anschlag hatten. »Nessuno si muova!«, rief ihr Anführer. »Mani in alto!« Nur Sekunden später rasten zwei Einsatzfahrzeuge durch die Einfahrt und kamen auf dem Kies schleudernd zum Stehen. Lausitz hob zitternd die Hände. Irgendetwas war hier massiv schief gelaufen. Wäre er nur nach seinem Instinkt gegangen und hätte mit diesen lächerlichen Diebstählen aufgehört! Als ob er es nötig hätte, Lastwagen zu klauen. Aber es hatte Spaß gemacht und war so einfach gewesen. Dank der Informationen von Melissa. Melissa? Wann er sie wohl wiedersehen würde? Ihre wunderbaren Brüste, die schlanken, muskulösen Beine …
»Lassen Sie mich in Ruhe!«, schrie Melissa Stradari, wild um sich schlagend, einige hundert Kilometer entfernt. In Mailand versuchten zwei Polizeibeamte ihr Handschellen anzulegen. Bisher vergeblich. Melissas Fingernägel hatten bereits blutige Spuren hinterlassen. Jetzt wehrte sie sich, einen hochhackigen Schuh in der Hand, mit der Spitze des Absatzes. Die Ehre der Polizisten ließ es nicht zu, Verstärkung anzufordern, also stürzten sie sich erneut auf sie. In der Tür stand Melissas Vorgesetzter, der das Getümmel mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination verfolgte. Dio mio, was hat diese Frau für ein Temperament, dachte er, was für ein Feuer, che passione. Insgeheim hoffte er, dass die Polizisten ihr endlich das Kleid vom Leib rissen. Fast enttäuscht nahm er zur Kenntnis, dass plötzlich die Handschellen zuschnappten. Er nahm sich vor, Melissa im Gefängnis zu besuchen.
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F abri fiel das splitternde Glas aus der Hand. Er langte sich an den Hals, sein Atem ging kurz und stoßweise. Röchelnd sank er zu Boden. Der Scharfschütze der Carabinieri rannte hinaus zum Funkgerät, um die Rettung und einen Notarzt zu rufen, auch wenn er nicht glaubte, dass das noch viel Sinn machte. Viberti eilte Fabri zu Hilfe. Aber er wusste nicht, wie man jemandem half, der sich gerade mit Zyankali vergiftet hatte. Hipp nahm Sabrina am Arm, sagte, dass sich nun die Carabinieri um alles kümmern würden und sie besser gehen sollten. Draußen vor der Azienda Agricola deutete Sabrina auf einen Fußweg, der zur nahe gelegenen Bank unter dem Kastanienbaum führte.
»Ich würde gerne ein paar Schritte gehen«, sagte sie, »und mich auf Lucianas Bank setzen. Gianfranco, Fabri … Ich kann es immer noch nicht glauben. Außerdem
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