Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
Leitplanke und beobachtete sie. Sabrina versuchte zurück in den Traum aus dem Flugzeug zu finden. Hektische Lenkbewegungen, ein Himmel, der sich drehte, ein hagerer Mann inmitten von Rebstöcken …
Enttäuscht stellte sie fest, dass der Traum nicht wiederkehren wollte. Die Kurve, der Blick auf die Weinreben. Fehlanzeige.
Fabri kam auf sie zu. »Und? Kannst du dich an irgendetwas erinnern?«
Sabrina schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht. Es bleibt nur ein Traum.«
»Du brauchst Zeit …«
»Aber ich habe mir so viel davon versprochen. Ich war mir fast sicher, dass mir hier an Ort und Stelle alles wieder einfällt.«
»Vielleicht ist es gut so«, sagte Fabri. »Wahrscheinlich sind es keine schönen Erinnerungen. Und dein Unterbewusstsein schützt dich einfach davor, alles noch einmal zu erleben.«
»Ich möchte aber nicht davor geschützt werden«, entgegnete Sabrina trotzig. »Ich will mich erinnern, wie es passiert ist. Und ich will wissen, was vorher geschah und warum mich dein Vater töten will.« Sie sah ihn fragend an. »Du hast keine Ahnung, oder?«
»Nein, nicht die mindeste«, antwortete er. »Sabrina, glaub mir, ich denke seit gestern an nichts anderes. Aber ich kann es mir nicht erklären. Niemand kann es sich erklären. Ich nicht, meine Mutter nicht, unsere Freunde nicht. Wir sind wie vor den Kopf geschlagen. Ehrlich gesagt kann und will ich es nicht glauben.«
»Es war sein Gewehr. Mit seinen Fingerabdrücken, das steht mittlerweile zweifelsfrei fest.«
»Ich weiß.«
»Bringst du mich bitte ins Hotel?«
»Gerne. Gegen acht hol ich dich ab. Meine Mutter macht ein Risotto al Barolo.«
59
L uciana stand in der bäuerlichen Küche am Herd und rührte mit einem Holzlöffel im köchelnden Reis. Sabrina sah Fabris Mutter aufmerksam zu. So schnell würde sie keine Gelegenheit mehr bekommen, die Entstehung eines authentischen Risotto al Barolo* in einer Cucina casalinga zu verfolgen. Fabri saß am Tisch, wo sie als Vorspeise eine Bagna cauda gegessen hatten, eine heiße würzige Sauce, in die frisches Gemüse und knuspriges Bauernbrot getunkt wurde. Dabei hatten sie einem stillen Einvernehmen folgend alle heiklen Themen vermieden, hatten weder über den Unfall noch über Gianfranco gesprochen. Stattdessen hatte Fabri versucht, seine depressiv wirkende Mutter mit Pettegolezzi aufzuheitern, mit Klatsch aus der Nachbarschaft. Während sich Sabrina darüber amüsiert hatte und tatsächlich ein wenig auf andere Gedanken gekommen war, hatte Luciana kaum gelächelt.
Sabrina beobachtete, wie Luciana erneut etwas Brühe in den Topf goss und dabei fortwährend weiterrührte. Fabri nahm die angebrochene Flasche Barolo und füllte sein Glas.
Der Reis wurde von den Arabern nach Valencia gebracht, von dort fand er während des Rinascimento, der italienischen Renaissance, seinen Weg in die Poebene. Für die norditalienische Spezialität Risotto, den »kleinen Reis«, wird häufig die Reissorte Arborio oder der feine Carnaroli verwendet. Luciana zog allerdings den im Piemont typischen Vialone vor. Weil sie sah, dass sich Sabrina für das Rezept interessierte, beschrieb sie ihr die einzelnen Schritte der Zubereitung. Vom Andünsten der klein geschnittenen Zwiebeln mit Butter und Rosmarin in der Kasserolle über das Ablöschen mit einigen Gläsern Barolo bis zum Hinzugeben des Riso, der kurz im Wein köcheln musste, dann in Etappen mit Fleischbrühe aufgegossen wurde, wobei man fortwährend rühren musste. Es solle nur immer so viel Brühe im Topf sein, erklärte Luciana, dass der Reis gerade bedeckt sei. Dann etwas Rosmarin hinzugeben, Parmesan, Muskatnuss und Pfeffer, erneut etwas Barolo. Die Kunst bestehe darin, die richtige Konsistenz zu treffen, keinesfalls zu trocken dürfe er sein, ein gutes Risotto müsse im schräg gehaltenen Topf fließen, am Löffel kleben bleiben und doch im Inneren al dente sein. Luciana steckte den Holzlöffel in das Risotto und ließ ihn los. »Vedi, per un pò rimane dritto. Er bleibt kurz aufrecht stehen, so muss es sein, dann ist das Risotto perfetto!«
»Perfetto e buonissimo, come sempre«, kommentierte Fabri vom Tisch und hob das Glas.
Nach dem Risotto al Barolo gab es Fagianella e nocciole, Fasan mit einer Soße aus Milch und fein gemahlenen Haselnüssen. Sabrina war es ein Rätsel, wie Luciana dies alles in so kurzer Zeit zuwege gebracht hatte, schließlich war ihr heutiger Besuch doch alles andere als geplant gewesen. Auch war ihr die Mühe peinlich, die sich
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