Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
Luciana machte. Aber Fabri flüsterte ihr zu, dass Kochen für seine Mutter die beste Therapie sei. Und es freue sie, dass es Sabrina so gut schmecke.
Fabri schenkte einen Barolo Chinato* in kleine Gläser, eine bittersüße Spezialität der Langhe, die gegen alle möglichen und unmöglichen Beschwerden helfen soll. Beim Chinato wird der Barolo mit eingelegter Chinarinde, Zimt und Nelken aromatisiert. Jeder Weinbauer hat sein eigenes wohl gehütetes Rezept.
Luciana trank das Glas aus, griff zur Flasche und goss nach. Sabrina schien es, als ob sie sich Mut antrinken wollte. Tatsächlich begann Luciana kurz darauf von ihrem Mann zu erzählen. Was für ein lieber Marito er früher gewesen sei, nun gut, vielleicht etwas aufbrausend und wohl auch nicht immer treu, aber ihr trotzdem in Liebe zugetan, ausgesprochen fleißig und ehrgeizig, aufopferungsvoll um das Wohlergehen ihrer kleinen Familie bemüht. In der letzten Zeit hätten sich die Wutausbrüche gehäuft, aber sie habe das nicht weiter ernst genommen. Und nachts, da habe sich Gianfranco immer für alles entschuldigt. Dass er sie von einem Augenblick auf den anderen verlassen würde, das habe sie sich nie und nimmer vorstellen können. Wahrscheinlich sei er krank, nicht körperlich, sondern irgendwie im Kopf. Insano di mente, etwas geistesgestört, deshalb auch nicht zurechnungsfähig. Denn wie sonst könne es sein, dass er versucht habe, Sabrina zu erschießen? Luciana nahm ihre Hände und sah sie schluchzend an. Aber er habe es dann nicht übers Herz gebracht, sagte sie, weil er im Grunde eben doch ein guter Kerl sei. Deshalb habe er vorbeigeschossen.
Sie langte unter die Schürze und brachte eine Ansichtskarte mit dem Photo einer Kapelle zum Vorschein. »Von Gianfranco«, sagte sie, »er hat mir geschrieben, aus Südtirol.«
Sabrina bekam eine Gänsehaut. Sie sah die Trümmer des zerschmetterten Transportkastens, glaubte den Ast zu spüren, an den sie sich in Todesangst geklammert hatte.
»Aus tiefstem Herzen bitte ich um Vergebung«, las Luciana vor. Sie schnäuzte sich. »Wir müssen ihm alle vergeben, ich, Fabri und auch du, Sabrina. Obwohl es schwer fällt, ich weiß. Aber er ist krank, er kann nichts dafür.«
Sabrina sah Fabri an, der leise den Kopf schüttelte. Es war wohl besser, dieses Flehen nach Entschuldigung und den Wunsch nach Vergebung unkommentiert zu lassen.
»Schau, was er geschrieben hat.« Luciana deutete auf die Karte. »Ich werde wiederkommen, versprochen.«
»Mamma …«
»Doch, Fabri, du wirst sehen. Er wird zurückkommen und er wird wieder gesund. Und dann sitzen wir gemeinsam auf der schönen Bank, die du gebaut hast, unter dem Kastanienbaum und schauen über unser herrliches Land.«
»Das wäre schön.«
»Sabrina, du musst morgen wiederkommen. Dann begleitest du mich zu meiner geliebten Bank. Ich sitze dort jeden Tag und denke über alles nach. Ab und zu kommt mich Fabri besuchen, aber der gute Junge hat so viel zu tun, er muss sich um alles kümmern, ist viel unterwegs …«
Sabrina nickte. »Ja, Luciana, das machen wir.«
Über Lucianas Gesicht huschte ein Lächeln. »Das ist ein magischer Ort, du wirst es spüren. Nirgendwo sonst fühle ich mich Gianfranco so nahe. Meine Seele öffnet sich. Die Erinnerung bekommt Flügel. Vielleicht wirkt der Zauber auch bei dir? Könnte doch sein?«
»Aber Mamma, du glaubst doch nicht im Ernst, dass sich Sabrina unter unserem Kastanienbaum plötzlich wieder an alles erinnern kann?«
»Perchè no? Wer weiß?«
60
D er Caffè corretto in der Bar Centrale hatte gut getan. Auch das dumme Gesicht von Sandro, als er von ihm das Geld fürs Gartengießen zurückverlangt hatte.
»Amico mio, mi devi credere«, hatte sich Sandro verteidigt, »io ho bagnato ma questa maledetta siccità …« Eine fürchterliche Trockenperiode als Ausrede? Ja, natürlich, genau deshalb hätte Sandro gründlich wässern müssen.
»E poi mia madre, ha avuto un’insufficienza circolatoria …« Aha, eigentlich hatte ihn eine überraschende Kreislaufschwäche der Mutter vom Gießen abgehalten.
»E la mia macchina da caffè si era guastata …« Nun, immerhin funktionierte die kaputte Espressomaschine wieder.
Schließlich war Hipp auf das Angebot eingegangen, als Entschädigung und als »segno di buona volontà«, als Zeichen des guten Willens, bis zum Ende des Sommers für den täglichen Caffè corretto nichts bezahlen zu müssen. Das schien ihm eine durchaus vorteilhafte Vereinbarung zu sein. Vor allem, wenn
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