Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
Rettenstein verkauft. Rettenstein habe von dem Tagebuch gewusst, und da er es unbedingt haben wollte, habe sie es ihm für eine kleine Summe überlassen. Er habe es als Andenken an seinen besten Trüffelsucher in Ehren halten wollen, habe Rettenstein gesagt. Viel anfangen habe er damit ohnehin nicht können. Erstens sei er selbst kein Trüffelsucher gewesen, und zweitens seien die Eintragungen so verschlüsselt, dass sie ihn vielleicht zu einem Steinpilz, aber gewiss zu keiner Trüffel geführt hätten.
Ob sie wisse, wo Rettenstein das Diario aufbewahrt habe?
Ja, eigentlich schon, hatte Maria geantwortet, in der großen Schublade in seinem Schreibtisch.
Was sie mit »eigentlich« meine, hatte Hipp nachgefragt.
Wieder war sie verlegen geworden. Nun, es sei nicht mehr da. Sie habe nach Rettensteins Tod nach dem Diario gesucht, um es wieder an sich zu nehmen, aber es habe sich weder in der Schublade befunden noch sonst wo im Haus.
Weil Maria Battardi die Geschichte mit dem Trüffeltagebuch ganz offenbar unangenehm war, hatte sie das Thema rasch gewechselt. Sabrina und Hipp hatten sich von der Sfilata medievale in Alba erzählen lassen, vom historischen Umzug vor dem berühmten Eselspalio. Sie habe früher gleich mehrfach an ihm teilgenommen. Einmal als prächtig gewandete Duchessa auf einem Prunkwagen, gezogen von zwölf Lakaien, unter ihnen Carlo und Ildefonso. Maria hatte ihnen im Album die Fotos gezeigt. Verständlich, dass dieser Auftritt zu den Höhepunkten ihres Lebens zählte.
Hipp hörte, wie Sabrina und ihre Gastgeberin aus der Küche zurückkamen. Er war mit dem dicken Album fast durch. Aber auch den letzten Seiten widmete er noch seine volle Aufmerksamkeit. Denn zum einen war es auf seltsame Weise faszinierend, der Chronik eines unbekannten Ehelebens in Bildern zu folgen, von der Hochzeit eines jungen Paares bis zur eingeklebten Todesanzeige am Ende. Zum anderen war dieses Fotoalbum viel aufschlussreicher, als er es für möglich gehalten hätte. So aufschlussreich, dass er die nächsten Minuten gedankenverloren versuchte, die vorangegangenen Erzählungen Maria Battardis mit einigen Fotos in Einklang zu bringen. Da traf es sich gut, dass die beiden immer noch über das Rezept für den Nusskuchen sprachen. Was von Sabrina ziemlich nett und ausgesprochen höflich war, denn wie er wusste, war sie alles andere als eine begeisterte Köchin. Besonders wichtig sei, schnappte er auf, dass der Eischnee erst ganz am Schluss unter die Teigmasse gehoben werde, »con cautela«, ganz behutsam. Aber wenn es etwas gab, was ihn momentan überhaupt nicht interessierte, dann war es diese Torta di noci.
67
A uf der Rückfahrt zum Hotel sagte Hipp kein Wort. Irgendwann wurde es Sabrina zu blöd.
»Worüber denkst du nach?«, fragte sie.
»Über dieses und jenes.«
»Vielen Dank, so genau wollte ich es gar nicht wissen.«
Wenn sie glaubte, Hipp damit zu einer konkreteren Antwort provozieren zu können, sah sie sich getäuscht.
»Okay«, sagte sie, »nächste Frage: Wie lange hat die Trüffelmesse* offen?«
»Heute? Bis zwanzig Uhr.«
»Sehr schön. Dann lass uns dorthin gehen.«
»Ich denke, du magst keine Trüffeln?«
»Stimmt, ich mag den Geruch nicht …«
»Dann ist das mit der Trüffelmesse aber keine besonders gute Idee, schon am Eingang schlägt dir ihr Duft entgegen.«
»Ich mag auch keine Bilder von Botticelli, trotzdem halte ich die Uffizien in Florenz für besuchenswert.«
Hipp musste lachen. »Das ist aber ein kühner Vergleich. Außerdem, was gefällt dir nicht an seinen Bildern? Die Geburt der Venus ist doch sehr schön.«
»Geschmackssache, wie bei den Trüffeln. Ich denke, den Geruch werde ich ertragen. Wenn ich schon zur Trüffelzeit in Alba bin, sollte ich die Messe doch wenigstens gesehen haben. Um auch diese Bildungslücke zu schließen.«
»Kommt hinzu, dass man auf dem Mercato del Tartufo auch Weine verkosten kann.«
»Na wunderbar, aber ich fürchte, dass sie allesamt aus dem Piemont stammen, nicht aus der Toskana.«
»Da spricht die Jungwinzerin aus Montalcino. Du solltest dich über dieses Thema nie mit Viberti auseinandersetzen. Er würde dich vermutlich wegen Landesverrat hinter Schloss und Riegel bringen.«
Als Hipp im Cortile della Maddalena die Eintrittskarten löste, musste ihm Sabrina recht geben. Es roch bereits an der Kasse intensiv nach weißen Trüffeln. Und mit jedem Schritt entlang der ersten Stände, wo weit und breit noch keine Tartufi zu sehen waren, nahm ihr Duft
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