Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
einer Parkbucht hinter einem Geländewagen. Fast gleichzeitig traf ein verbeulter Lancia ein. Während Hipp im Auto sitzen blieb und die Szene beobachtete, ging Carlo mit einem der beiden Geschirrtücher nach vorne, ein Mann stieg aus, sie begrüßten sich kurz, die Heckklappe wurde geöffnet, wobei die untere Hälfte als Arbeitsfläche diente. Schon wanderten die Trüffeln nach schneller Begutachtung einzeln auf eine Briefwaage, die ermittelten Preise wurden in einen Taschenrechner getippt. Der Mann zeigte Carlo das Display, dieser nickte, einige Geldscheine wechselten den Besitzer. Jetzt war der Trüffelsucher mit dem Lancia an der Reihe.
Zurück im Auto, erklärte Carlo, dass er seine Trüffeln früher häufig an Hubertus Rettenstein geliefert habe, jetzt laufe der Deal wieder primär über Aufkäufer an der Straße. Dieser hier arbeite mit einem Trüffelhändler in der Schweiz zusammen und zahle einen guten Preis.
Und die Tartufi im zweiten Tuch? Einige davon, erklärte Carlo, verkaufe er in seiner Enoteca, für die anderen habe er direkte Abnehmer in der Gastronomie. Ob Hipp Lust habe, mit in seinen Laden nach Neive zu kommen, fragte er, dort könnten sie einen Espresso trinken. Später komme ein Kunde aus Alba, mit dem könne er dann wieder zurückfahren und in der Werkstatt nach seinem Alfa sehen.
Hipp nahm dieses Angebot gerne an. Er hatte ohnehin nichts Besseres zu tun. Und Neive war ja nur wenige Kilometer entfernt, so blieb Carlo eine längere Fahrt erspart.
Einen kleinen Umweg mussten sie aber dennoch machen. Carlo fuhr in der Nähe seiner Wohnung bei der Fattoria eines Freundes vorbei. Dort hielten sie bei einer kleinen Hütte, die vorne einen zwingerähnlichen Auslauf hatte. Er ließ seinen Hund aus dem Auto, kraulte ihn kurz, schloss die Hütte auf, füllte einen Napf mit Wasser und einen weiteren mit Futter. Profumo machte es sich derweil auf einer alten Decke bequem. Zum Abschied gab er ein zufriedenes Bellen von sich.
Carlo schob bei der »Enoteca Vini«, funghi e tartufi, den Rollladen nach oben. Wenig später saßen sie auf Weinkisten und tranken Caffè. Ob Hipp seinen Auftrag abgeschlossen habe, den er von Rettenstein zu seinen Lebzeiten übernommen habe? Hipp nickte, wohl wissend, dass er diesen Auftrag nie genauer erläutert hatte.
»Ich habe gehört, dass die Carabinieri Amedèo Steinknecht für seinen Mörder halten.«
»Sieht ganz so aus«, bestätigte Hipp, der keine Lust verspürte, darüber zu reden. Gedanklich war er längst unterwegs in die Toskana. Rettenstein und Steinknecht waren für ihn abgehakt.
»Sie haben vorhin Ihr Trüffeltagebuch erwähnt«, sagte er, um das Thema zu wechseln, »ich würde gerne mal sehen, wie so was ausschaut. Sie haben es hier in Ihrer Enoteca?«
Carlo lächelte. »Ja, habe ich. Aber nur einen kurzen Blick, keine Notizen …«
»Ich bin als Trüffelsucher keine Konkurrenz.«
»Ich weiß, deshalb mache ich bei Ihnen eine Ausnahme. Aber Sie werden enttäuscht sein.«
Carlo stand auf, holte einen Schlüssel und ging zu einer schweren Kommode, auf der Weinflaschen dekoriert waren. Während er sie entriegelte und eine Schublade aufzog, hatte sich Hipp von hinten dazugesellt. Da lag es – ein in rotes Leder gebundenes Notizbuch, etwas abgegriffen, aber schon im Äußeren einem geheimen Trüffeltagebuch durchaus adäquat. Carlo nahm es heraus, stellte überrascht fest, dass Hipp unmittelbar hinter ihm stand, schob die Schublade wieder zu und legte sein heiliges Diario auf den Tisch für Degustationen. Er zeigte seinem Gast die ersten Eintragungen, die noch sein Vater vorgenommen hatte, blätterte willkürlich einige Seiten auf und erläuterte die Notizen. »17. November, ca. halbsechs, Serravecchia, nach dem Bach, die große Eiche links, zunehmender Mond, t.b. 240 g …«
»t.b.?«, fragte Hipp.
»Tartufo bianco …«
Das Telefon klingelte. Carlo zögerte, überließ dann aber Hipp sein Tagebuch, nicht ohne mit dem Zeigefinger zu drohen. Er eilte an den Tresen und redete kurz mit dem Anrufer. Währenddessen blätterte Hipp durch das Diario und bewunderte die Akribie der Notizen. Zwar gab es viele Abkürzungen, die sich nicht sofort erschlossen, aber ihm ging es um den Gesamteindruck. Wann hatte man schon Gelegenheit, ein über Generationen geführtes Trüffeltagebuch in den Händen zu halten?
Schon war Carlo wieder bei ihm. »Keine Seiten herausgerissen?«, fragte er grinsend. Hipp hob die leeren Hände. »Alles unbeschädigt. Außerdem kann ich
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