Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
durchs Gitter verwundert zu, als ob er zum Ausdruck bringen wollte, dass er mit diesen Befehlen nichts anzufangen wisse, und außerdem fänden sie in seiner Hütte ganz gewiss keine Trüffeln.
»Ich fürchte, diesen Ausflug hätten wir uns sparen können«, stellte Hipp fest. »Tut mir leid.«
»War aber keine schlechte Idee«, räumte Viberti ein. »Hätte mich nicht gewundert, wenn Carlo sein Gewehr hier versteckt hätte.«
Im gebückten Hinausgehen blieb der Maresciallo plötzlich stehen, drehte sich um und deutete wortlos auf die Kiste. Sie schoben sie zur Seite, entnahmen ihr einen Klappspaten und begannen dort zu schaufeln, wo sie gestanden hatte. Bald stießen sie auf Widerstand, und kurz darauf hatten sie im Erdreich einen schmalen Holzkasten freigelegt. Sie schauten sich an, nickten, hoben ihn heraus und machten ihn auf.
»Colpito in pieno!«, murmelte Viberti.
»Volltreffer!«, wiederholte Hipp.
Das Jagdgewehr präsentierte sich in gepflegtem Zustand, mit aufgeschraubtem Zielfernrohr und Trageriemen.
Viberti zog dünne Latexhandschuhe an, nahm das Gewehr heraus und begutachtete es.
»Das Kaliber könnte stimmen«, sagte er. »In unserer ballistischen Abteilung wird man schnell feststellen, ob es sich um die Tatwaffe handelt. Aber alles andere würde mich überraschen …«
»Es muss einen zwingenden Grund geben, sein Gewehr in einer Hundehütte zu verstecken«, bestätigte Hipp. »Das ist nicht die übliche Aufbewahrungsart.«
»Ein Mord am eigenen Schwager wäre zwingend genug!«
Viberti trug die Waffe zum Auto und legte sie auf den Rücksitz. Sie entnahmen dem Gewehrkasten einige Schachteln mit Patronen, verschlossen ihn dann, setzten ihn wieder ins ausgehobene Loch, schaufelten die Erde zurück und schoben die große Kiste darüber.
Hipp holte Profumo, machte die Leine ab und kraulte ihn zum Abschied.
Viberti schob den Riegel vor und hängte das durchgekniffene Schloss ein.
Profumo stand im vergitterten Zwinger und bellte sie schwanzwedelnd an. Viberti deutete mit dem Finger streng auf den Hund. »Gib sofort Ruhe, sonst verhafte ich dich wegen unerlaubtem Waffenbesitz!«
78
A uf der Rückfahrt kamen sie erneut an Rettensteins Haus vorbei. Hipp warf einen Blick hinauf zum Hügel mit dem Wald. Der Maresciallo ließ Hipp am Hotel aussteigen und fuhr sofort weiter.
Im Hotelzimmer fand Hipp einen Zettel von Sabrina vor. Sie habe sich mit Gina und Roberta zu einem Bummel im Centro storico verabredet. »Ohne Sauna!«, hatte sie dazugeschrieben.
Hipp legte sich aufs Bett, schloss die Augen und hing seinen Gedanken nach. Immer müder werdend, ließ er die Ereignisse der letzten Tage und Wochen Revue passieren. Es blitzten Bilder auf, er glaubte Gerüche wahrzunehmen, hörte Stimmen und Geräusche. Er liebte diesen Zustand des Wegdämmerns. Reale Erinnerungen mischten sich mit Eindrücken, die das Unterbewusstsein beisteuerte, langsam, aber stetig übernahmen Träume die Regie, ließen die Episoden immer bizarrer werden. Er glaubte Viberti zu sehen, wie er Profumo in Ketten abführte. Aus einem großen Teppich tropfte Blut. Carlo legte hämisch grinsend mit dem Gewehr auf ihn an. Maria schob das Fotoalbum in den Backofen. Ildefonsos Trüffeltagebuch bekam Flügel und flatterte davon. Er hörte im Wald eine Stimme: »Baica bin, baica sí …« Dann Gelächter, das sich leiser werdend zwischen den Bäumen verlor. Er sah nackte, schwitzende Frauenleiber. Ugo Zorzi, dessen Ferrari kutschenähnlich von schwarzen Pferden gezogen wurde. Er schaute durch ein Kaleidoskop, in dem sich zersplitterte Fotos drehten …
Plötzlich schlug Hipp die Augen auf, den Blick starr nach oben gerichtet, bewegungslos auf dem Rücken liegend. Hätte ein Zimmermädchen in diesem Moment den Raum betreten, es hätte ihn vermutlich für tot gehalten. Es dauerte, bis er merkte, dass sein Atem wieder einsetzte.
Er kannte diese sekundenlange Schockstarre, hatte sie schon früher erlebt. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihn erneut ereilen könnte. Er setzte sich auf und fühlte seinen Puls. Im Bad ließ er Wasser über die Hände laufen und spritzte es sich ins Gesicht. Dann ging er ans Fenster und machte einige Kniebeugen. Dabei versuchte er sich an seine Traumszenen zu erinnern. Der bluttriefende Teppich, das fliegende Trüffeltagebuch, die nackten Körper, der kutschengleiche Ferrari, das splitterbildliche Kaleidoskop …
Er begab sich zur Minibar, betrachtete das Sortiment kleiner Flaschen und entschied sich,
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