Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
Flaschenfragment in seinem Hals. Das ist mir völlig unerklärlich. Die Flaschen liegen mit dem Boden nach hinten in den Fächern, das Regal fällt um, die Flaschen sind zu diesem Zeitpunkt alle intakt. Jetzt dreht sich eine Flasche in der Luft um hundertachtzig Grad, bricht dabei in der Mitte entzwei, um sich dann mit den scharfen Zacken voraus in den ungeschützten Hals des Opfers zu bohren. Wie soll das gehen?«
Viberti nahm die Fotos und steckte sie wieder in den Umschlag. »Dottore, Sie haben ein scharfes Auge. In der Tat kam dieser Einwand auch aus der Gerichtsmedizin. Aber unsere Experten aus der Ballistikabteilung sind zu dem Schluss gekommen, dass dies sehr wohl möglich ist. Ein Regalbrett von weiter oben könnte die Flasche im Flug getroffen haben …«
Hipp schüttelte erneut den Kopf. »Ich möchte Ihren Experten nicht widersprechen, aber ich halte das nicht nur für sehr unwahrscheinlich, sondern sogar für völlig ausgeschlossen.«
Viberti steckte den Umschlag in die Tasche und schob den Teller mit der Tagliata con tartufo zur Seite. Ihm schien der Appetit vergangen zu sein. »Dottore, worauf wollen Sie hinaus?«
»Um es kurz zu sagen: Hubertus Rettenstein ist nach meiner Überzeugung keinem Unglück zum Opfer gefallen, sondern umgebracht worden.«
»Wir haben den Fall bereits abgeschlossen«, protestierte Viberti, »wobei wir Carabinieri uns ausnahmsweise mit der Questura einig sind. Es liegen keine ausreichenden Verdachtsmomente vor, die für eine Gewalttat sprechen würden.«
»Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen einige Verdachtsmomente liefere?«
Viberti zupfte sich am Ohrläppchen. »Abgesehen davon, dass Sie mir damit Arbeit machen würden, womöglich viel Arbeit, also abgesehen davon könnte ich sie mir ja mal anhören, Ihre Verdachtsmomente. Auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie diese aussehen könnten.«
Hipp deutete auf Vibertis Teller. »Per favore, lassen Sie die Tagliata nicht kalt werden.«
»Sie haben recht, das wäre eine Schande. Das Fleisch ist wunderbar zart. Unsere Rinder der Rasse Piemontese haben ein einzigartiges Fleisch, sehr fettarm und wenig Cholesterin. Die Rinder sollten zum Weltkulturerbe ernannt werden.«
Hipp erzählte von den E-Mails, die ihm Rettenstein geschickt habe, davon, dass er um Hilfe gebeten habe, dass er von Leben und Tod geschrieben habe, von einem Drohbrief, von einem vergifteten Wein, einer toten Katze und einem Parmesanmesser. Vibertis Aufmerksamkeit wurde zwischen der Tagliata und Hipps Ausführungen hin- und hergerissen. Beim Stichwort »Parmesanmesser« erschrak er. »Wollen Sie damit andeuten, dass Signor Rettenstein seine Katze mit einem Coltello da parmigiano …?«
»Nein, das Messer war in seinen Schreibtisch gerammt, mit einem Drohbrief.«
»Grazie a Dio, das wäre sonst ein Fall für den Tierschutzverein. Ein Drohbrief?«
»Ja, habe ich doch gerade erzählt«, sagte Hipp.
»Entschuldigen Sie, das ist mir entgangen. Sie wissen schon, dieses überaus köstliche Fleisch. Al sangue, einfach delizioso! Übrigens, darf ich noch etwas Wein nachschenken?«
»Sehr gerne. Vielleicht hilft der Barbaresco bei unseren Überlegungen?«
»Davon bin ich überzeugt. Das ist sozusagen ein Naturgesetz. Allora, wir waren beim Parmesanmesser und dem Drohbrief. Dottore, verzeihen Sie mir, was Sie erzählen, klingt zwar beunruhigend, ist aber als Verdacht nicht ausreichend. Signor Rettenstein ist weder vergiftet worden, noch hat man ihn mit einem Parmesanmesser erstochen. Wo besteht hier ein Zusammenhang? Mi scusi, ich kann keinen erkennen!«
»Ich hatte Gelegenheit, mit Maria Battardi zu sprechen …«
»Mit Rettensteins Haushälterin? Die arme Frau habe ich persönlich verhört, sie kann leider nichts zur Aufklärung beitragen.«
»Da haben Sie sicherlich recht, aber sie hat mich auf eine Idee gebracht. Darf ich Ihnen meine Theorie des Tathergangs erläutern?«, fragte Hipp.
»Nur zu, jetzt bin ich wirklich neugierig.«
»Ich vermute, dass Hubertus Rettenstein in der Küche ermordet wurde. Vielleicht nicht vorsätzlich, sondern im Streit oder wie auch immer. Jedenfalls hat dort jemand die Flasche abgeschlagen und sie ihm in den Hals gestoßen.«
»In der Cucina? Wie kommen Sie denn darauf?«
»Maria hat mir erzählt, dass sie am Boden kleine Glassplitter entdeckt habe und in den Ritzen und Fugen Reste von Rotwein. Sie hat kräftig putzen müssen, bis die Küche wieder ihren Vorstellungen von Sauberkeit entsprochen
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